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Rolf Zbinden: «Es braucht neue Spielregeln»

31.08.2007 (Vorwärts) – Der Berner PdA-Stadtrat Rolf Zbinden kandidiert für den Nationalrat auf der Liste 11. Für den Genossen ist die kapitalistische Logik am Ende ihres Lateins. Ein Interview von Marcel Hostettler.

«Vorwärts»: Ein bekannter Slogan der PdA Bern behauptet: “Wir sind hier – Wir sind überall.” Nun ist sie sogar auf einer linksgrünalternativen Liste 11 zu finden. Wie kommt das?

Rolf: Wahlen sind eines von vielen Mitteln, um Öffentlichkeit für unsere Anliegen zu schaffen. Was unter dem Strich zählt, ist der Beitrag, den ein Mittel zur Entwicklung und Steigerung der sozialen Kämpfe beisteuern kann. Was weiter zählt ist alles, was wir dabei von MitkämpferInnen lernen können. Den grössten Beitrag versprechen wir uns derzeit von konkreten Projekten zur Demokratisierung von Politik und Kultur. Ich erinnere an die Abstimmung über den Euro’08- Kredit, wo 48% der Stimmenden unseren Argumenten gefolgt sind. Auf Kantonsebene bündeln wir die Kräfte zur Durchsetzung des Stimm- und Wahlrechts für alle. Aus diesen Überlegungen haben wir in der PdA beschlossen, keine eigene Liste einzureichen. Nun ist die von Daniele Jenni angeführte Liste 11 an zwei von uns herangetreten und hat sie auf ihren Wahlvorschlag gesetzt. Die PdA unterstützt den Vorschlag.

Wie ist es, als PdA-Stadtrat im Schuldienst zu stehen?

Rolf: Ich erlebe sowohl auf Seiten meiner Kolleginnen und Kollegen wie auch der Schulbehörden viel persönliches Engagement. Auch im Umfeld der Berufsschule Bern wird viel unternommen, um die erkannnten schulischen Defizite zu beseitigen. Wir ziehen da am gleichen Strick, ohne auf Parteibücher zu achten.

Seit der Pisastudie geht das Wort vom Bildungsmalaise in Europa. Wie schätzest du die Lage und ihre Entwicklung ein?

Rolf: Der Druck des Kapitals auf die Bildung und die dadurch ausgelöste Sparwut des Staates bilden den Hauptaspekt des Problems. Aber es geht nicht nur um diese Frage. In der Geschichte kennen wir aufsteigende Epochen der Verbreitung von Wissen und andere, in denen das Wissen unter Verschluss gehalten und der Gesellschaft entzogen wurde. Heute geht es in vielen Ländern in Richtung Zementierung des Klassenprivilegs in der Bildung. Dazu passt es, wenn Schöpfungsmythen die Naturkunde verdrängen, wenn Goethe aus Lesebüchern gestrichen wird. Dazu passt es, dass das über Jahrtausende angesammelte Wissen immer tiefer von Eigentumsansprüchen durchzogen wird. Eine Handvoll internationaler Konzerne sind im Begriff, ihren geistigen Grossgrundbesitz weltweit durchzusetzen. Das alles sind deutliche Zeichen, dass die kapitalistische Logik am Ende ihres Lateins angelangt ist. Diese Form des Wirtschaftens hat aufgehört, der Menschheit auf dem Weg zur weiteren Entwicklung zu dienen. Es braucht neue Spielregeln. Im Umgang mit dem Wissen zeigt sich dies am deutlichsten. Wir müssen den Trend brechen, bevor auch der Gebrauch des ABC und die Neunerprobe gebührenpflichtig werden. Zumindest die Lernenden sollten freien Zugang zu allen Lernwerkzeugen haben. Das betrifft besonders die Computerprogramme.

Wie lautet deine Wahlprognose? Schlägt das Pendel nach links?

Rolf: Die grosse Frage dieser Wahlen ist, ob die Voraussetzungen geschaffen werden, um den ausgesprochenen Rechtskurs zu stoppen, den das Bundeshaus nach 1990 eingeschlagen und mit dem Einzug der Herren Merz und Blocher in den Bundesrat verschärft hat. Die aktuelle Rhetorik und Bildsprache der SVP gegenüber der Immigration und sozial benachteiligten Schichten ist schlicht rassistisch. Mitverantwortlich für diese desaströse Politik sind auch die neoliberalen Kräfte innerhalb der Sozialdemokratie, die sich für Privatisierungen und überlange Ladenöffnungszeiten einsetzen und neuerdings in Bern sogar durch das Gebüsch jagen, um dem –Sozialmissbrauch» auf den Fersen zu bleiben. Dass die SPS sich nun auch für das sogenannte “Flexicurity”- Konzept ins Zeug legt, beweist den grossen Einfluss der Neoliberalen in dieser Partei. Es handelt sich dabei um Empfehlungen an die EU-Mitgliedstaaten zur Neuregelung der Arbeits- und Sozialgesetzgebung, besonders Abschaffung des Kündigungsschutzes und Auflösung der Sozialversicherung in ihrer bisherigen Form als solidarische Risikotragung. Flexibility und security werden in diesem Paket einseitig verteilt: “Beugung der Arbeit” und “Sicherheit der Profite”. Die rotgrüne Stadtregierung in Bern lässt durch eine internationale Consulting-Firma abklären, wem das Wasser in Zukunft gehören soll. Selbstverständlich staut sich das Pendel mit Energie auf, und holt zu einer Bewegung aus, die in Wahlergebnissen oder in anderer Form bemerkbar machen wird.

aus: VORWÖRTS – Die sozialistische Zeitung, 31. August 2007 (Quelle: pdabern.ch)