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Tessiner KP spaltet sich auf dem Weg zur Einheit

Rücktritt des Parteisekretariats und kollektive Parteiaustritte

Im Januar hat die Kommunistische Partei, wie die Tessiner Sektion der Partei der Arbeit (PdA) seit dem Kongress von Locarno 2007 heisst, den Rücktritt von Parteisekretär Gianluca Bianchi gemeldet. Mit ihm hat die grosse Mehrheit des Sekretariats das Mandat niedergelegt. Die Zahl der Parteiaustritte geht bereits über ein Dutzend hinaus. Darunter ist auch Alt-Grossrat Fausto Gerry Beretta-Piccoli, der seinen Schritt mit dem andauernden und unfruchtbaren Streit zwischen Gen. Bianchi und seinen Gegenspielern begründete. Diese haben inzwischen Gen. Sonia Crivelli als Sekretärin ad interim eingesetzt.

Anlass zum Bruch war ein Interview des Corriere del Ticino vom 24. Januar, in welchem Gen. Renzo Tagliaferri unter dem Namen ‘Casa del Popolo’ das Projekt einer grossen politischen Organisation vorstellte, welche aus der Fusion der Kommunisten mit dem ‘Movimento per il Socialismo’ (MPS) und anderen Kräften hervorzugehen hätte. Am 20. Januar hatte Tagliaferri im kantonalen Parteivorstand darüber referiert.

Parteisekretär Bianchi begründet seinen Austritt damit, dass er bereits ein gleichgerichtetes – allerdings demokratischeres – Projekt vorgebracht habe. Aber gerade wegen des Widerstands von Tagliaferri und seinem “Flügel” (gemeint sind die Genossin Crivelli und die Genossen Norberto Crivelli und Max Ay) sei er zum Rückzug des Vorhabens gezwungen worden. Durch Tagliaferris Interview seien die gewählten Parteiorgane delegitimiert und ein demokratisches Prozedere verhindert worden.

Die oppositionelle ‘Collettivo prospettiva’

Die Ausgetretenen haben sich bereits unter dem Namen “Collettivo prospettiva” konstituiert. Nach ihren Angaben vertreten sie mehr als die Hälfte des kantonalen Parteivorstandes (comitato cantonale) und des Sekretariats. Sie haben sich in einem Aufruf mit Bianchi solidarisch erklärt und fordern ihn auf, ihrer ‘Initiative’ beizutreten. Sie machen in ihrem Pressecommuniqué vom 26.01.2009 geltend, dass sie ausnahmslos zur Mehrheit des Kongresses von Locarno 2007 gehören, welche sich für die Annahme des Namens “Kommunistische Partei” entschieden hatte.

Zu den Differenzen, Argumenten und zu den Vorgängen vernehmen wir nichts. Auch keine Angabe von Fakten, auf welche sich der Vorwurf bezieht, dass ein Parteimitglied einen “indirekten, illegitimen und ungerechtfertigten Angriff” auf Bianchi geführt habe. Worin der Angriff bestand, wird den Nichteingeweihten nur knapp erläutert. Es ist schwer verständlich, worin die Schwere dieses Angriffs liegt, und wieso er Bianchi die Weiterarbeit verunmöglichen soll.

Unklar bleibt vor allem Eines: Wieso konnte es dazu kommen, dass sich diese Gruppe, die sich in mehreren Hinsichten als Mehrheit ausgibt, nicht auf dem Weg des ordentlichen Vereinsdemokratismus durchzusetzen vermochte, sondern sich nun genötigt sieht, das Feld zu räumen?

Wenn das tatsächlich die Mehrheit ist, wie zum Teufel – durch welche konkrete Schwäche bzw. Schwächung – konnte sie sich in eine Lage hinein manövrieren, welche nun der angeblichen Minderheit erlaubt, die Kontrolle über die gesamten Parteistrukturen, Sekretariat, Organe, Internetseiten, Presse usw. kampflos zu übernehmen?

Jungkommunisten begrüssen ‘Casa del Popolo’

Begrüsst wird Gen. Tagliaferris Vorschlag zur Schaffung eines Bündnisses der ‘radikalen Linken’ von der Gioventù Comunista. Die Jungkommunisten bedauern die Reaktion von Gen. Bianchi und widersprechen seiner Darstellung des Sachverhalts. Es treffe nicht zu, dass Bianchi ein Dokument präsentiert habe, das in die gleiche Richtung gegangen sei wie die nun von Tagliaferri vorgeschlagene.

Statements der neuen Sekretärin

Die Rumpf-KP ruft die ausgetretenen Genossen auf, sich die Sache zu überlegen und wieder einzutreten, damit Missverständnisse geklärt und Meinungsverschiedenheiten spätestens auf dem kantonalen Parteikongress 2009 bereinigt werden können.

Sie nimmt auch den Rücktritt Bianchis mit Bedauern und Erstaunen zur Kenntnis und zieht seine Gründe in Zweifel, zumal er sich ja in der Sache zu denselben Ideen bekenne wie Tagliaferri.

Die Interims-Sekretärin Crivelli und Gemeinderätin von Sorengo gilt als Gegnerin der Umbenennung der Partei der Arbeit in “Kommunistische Partei”. Diese Namensänderung wurde bekanntlich im Tessin 2007 vollzogen und steht nun auf nationaler Ebene bevor, nachdem sich der Parteitag 2008 der PdA deutlich dafür ausgesprochen hat, zum historischen Namen der 1940 verbotenen KP zurückzukehren. Sie sieht die deutsche Linkspartei als Vorbild und ist natürlich für den Verbleib der PdA in der EU-Linkspartei, an denen die Genossin rege teilnimmt. Ehemann Norberto ist Mitglied des Vorstands (Executive Board) der European Left.

Sonia Crivelli betonte in einem Interview, das Festhalten an der eigenen Identität bilde die Ausgangslage, von der aus man die Richtung der Öffnung zu anderen Linkskräften einschlagen könne. Sie wolle nicht vergessen, “dass wir … als Mitglied der Europäischen Linkspartei ernsthaft offen für einen breiten Dialog” seien. Sie sehe in den Initiativen von Bianchi und Genossen die Gefahr, dass man in der Logik der kleinen lokalen Realitäten gefangen bleibe. Crivelli erklärte sich nicht überrascht von Bianchis Rücktritt. Der Genosse mache schon länger einen übermüdeten Eindruck, sagte Crivelli im interview von Ticino-Online.

Fazit: Zimmer frei in der Casa del Popolo?

Keine der beiden Seiten hat bisher eine umfassende Analyse der Geschehnisse geboten oder wenigstens die Fakten zusammenhängend gegeben. Wir wissen nicht genau, welche ideologischen Positionen aufeinanderprallen. Wir versuchen, die Steinchen um Steinchen zum Mosaik zu fügen. Ein Kommentar ist nicht möglich, solange sich das Gesamtbild nicht in deutlicheren Konturen abzeichnet.

Auch das Fazit für Tagliaferri oder jeden anderen Architekten des ‘Volkshauses’ ist nicht sicher. Zunächst sah es nach der neuen Spaltung so aus, als müssten sie ein Zimmer mehr als vorgesehen einplanen, um nun auch noch das ‘Collettivo prospettiva comunista’ einzuquartieren. Aber nun ist wieder eines der schon verplanten Zimmer frei geworden, denn die Trotzkisten, denen ein Grossteil von des Liebeswerbens der nun zerstrittenen Genossen galt, haben dem Fusionsangebot inzwischen eine Abfuhr erteilt.

So wie es aussieht, wird die Casa del Popolo mit 3 Zimmern auskommen. Auf den Flügeln sollte man die beiden Teile der nun auseinander gefallenen KP unterbringen. Den vom MPS verschmähten Platz in der Mitte könnten man den unzufriedenen Sozialdemokraten anbieten.

(8.2.2009)

 

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