Zur “Eingabe der Zweihundert” von 1940
Am 15. November 1940 reichten 173 Schweizer (mit zwei Nachtragslisten von Unterzeichnern späteren Datums) eine Petition an den Bundesrat, die als “Eingabe der 200” in die Geschichte eingegangen ist. In der bedrohlichen Lage im Herbst 1940 hielten es einflussreiche Wirtschaftskreise für nötig, “mit allen Nachbarn gute Beziehungen zu pflegen”. Andere Nachbarn als Hitler und Mussolini hatten wir damals nicht, und guten Beziehungen der Schweiz mit den faschistischen Machthabern stand nach der Meinung dieser Herrschaften der kritische Journalismus hindernd im Wege. Ihre Eingabe hetzt wie folgt gegen die Presse: “Durch ihre tagtägliche Beeinflussung der im Grunde durchaus unparteiisch eingestellten Masse unserer Bürgerschaft hat sie jene Stimmung geschaffen, die sich in Verunglimpfungen und feindseligen Handlungen gegenüber fremden Staaten oder ihren Angehörigen Luft machte und die unserem Lande immer wieder Schwierigkeiten zugezogen hat.”
Am Ende des Kriegs wurden die “Zweihunderter”, soweit sie sich in öffentlichen Ömtern befanden, daraus entfernt. Keiner wollte mit ihnen zu tun haben. Im Januar 1946 publizierte der Bundesrat die Liste der Unterzeichner. Die Eingabe gehört zu den wichtigsten Dokumenten der Landes- und Klassengeschichte des 20. Jahrhunderts.
Die Eingabe erhebt eine Reihe von Forderungen, welche sich in erster Linie gegen Presse, Radio, und Schweizerische Depeschenagentur richten. Sie werden im Bundesgerichtsurteil BGE 111 II 209, vom 2.Mai.1985 in Sachen J. Frischknecht und Koautoren von “Die unheimlichen Patrioten” gegen R. Eibel wörtlich zitiert:
Die Forderungen der Zweihunderter an den Bundesrat
- Einsatz von Presse und Rundfunk für eine dem Wesen der Eidgenossenschaft entsprechende und der Schweiz als dem Mutterlande des Roten Kreuzes angemessene, der Versöhnung der Völker dienende Wirksamkeit.
- Aufforderung zur Ausschaltung jener an verantwortlichen Pressestellen wirkenden Personen, die einen für das Wohl und das Ansehen des Landes verhängnisvollen Kurs gesteuert haben.
- Ausmerzung jener Presseorgane, die ausgesprochen im Dienste fremder politischer Gedanken standen und ihnen ihre aussenpolitische Stellungnahme unterordneten.
- Straffe behördliche Überwachung der Schweizerischen Depeschenagentur, deren Einstellung zu schweren Bedenken Anlass gegeben hat und für die das Land nach aussen doch die Verantwortung tragen muss.
- Entfernung jener Personen aus verantwortlichen Stellen des Staates, deren politische Tätigkeit sich offenkundig für das Land als nachteilig erwiesen hat.
- Entgiftung unseres politischen Lebens durch die Wiedergutmachung aller jener Übergriffe unserer politischen Polizei, die sich lediglich durch die Verhetzung unserer öffentlichen Meinung erklären lassen. Eine unparteiische gerichtliche Stelle soll die politischen Prozesse und Strafuntersuchungen, die zur Beanstandung Anlass geben können, überprüfen, die Betroffenen in ihre Ehre wiederherstellen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.
- Sorgfältige Pflege der kulturellen Beziehungen zu allen unseren Nachbarvölkern, wie sie durch Geschichte und Herkommen gegeben und für alle drei Sprachgebiete unseres Landes lebensnotwendig sind.
- Bereinigung unserer aussenpolitischen Stellung durch die Lösung der letzten Bindungen an den Völkerbund und die Ausmerzung jeder fremden politischen Stelle auf unserem Boden.
Literatur:
EDGAR BONJOUR, Geschichte der schweizerischen Neutralität, Band IV, Basel und Stuttgart 1970, S. 349 ff. (21. Kapitel “Eingabe der 173 an den Bundesrat”)