Partei der Arbeit der Schweiz (1972): Gleichschaltung mit dem Europa der Trusts? – Dieses Parteidokument von 1972 nimmt Stellung zu einer damaligen Vorlage über ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der Vorläuferin der heutigen Europäischen Union (EU). Das Dokument schärfte den Blick für die ökonomischen und politischen (auch militärischen) Folgen, welche ein solcher Annäherungsschritt wie dieser Freihandelsvertrag haben musste. Die Befürchtungen von 1972 haben sich als berechtigt erwiesen. Die Charakterisierung der EWR als Instrument des in transnationalen Konzernen organisierten Grosskapitals und der Hinweis auf die Bedeutung der EWG als Beschleuniger der Kapitalkonzentration finden ihre volle Bestätigung durch die seitherigen Erfahrungen. Der schon damals erkannte durch und durch antidemokratische Charakter der EU prägt auch heute den Prozess zur Ratifikation des sogenannten Vertrags von Lissabon. Das Parteiprogramm 1991, das den Beitritt der Schweiz zur EU forderte, ist Ausdruck der ideologischen Schwächung und Zermürbung der Partei der Arbeit, die noch 1972 eine klare Sicht der Dinge hatte, zu der sie heute nur mit Mühe zurückfindet. Immerhin besteht nach dem Parteitag 2008 gute Hoffnung, dass diese und weitere Rechtsabweichungen der letzten Jahrzehnte berichtigt werden. (mh/19.01.2009)
PdA (1972): Gleichschaltung mit dem Europa der Trusts?
Die Weiche wird gestellt
Nun wird auf Beschluss der Mehrheit der eidgenössischen Räte doch abgestimmt. Das ist das indirekte Eingeständnis dafür, dass im scheinbar harmlosen Vertrag mit der EWG eben mehr steckt, als der darin vorgesehene Abbau der Zölle für industrielle Produkte zwischen der Schweiz und den EWG-Staaten bis zum 1. Juli 1977. Es handelt sich um eine Weichenstellung, durch die Wirtschafts-, Innen- und Aussenpolitik der Schweiz mit der Zeit immer mehr betroffen werden. Nicht der Inhalt des Vertrages ist entscheidend, sondern seine Konsequenzen sind es.
Die Schweiz soll EWG-Satellit werden
Die Befürworter des EWG-Vertrages brüsten sich damit, dass die Schweiz keine Souveränitätsrechte abgeben müsse. In Brüssel setzt man auf den mit der Zeit durch immer engere Verflechtung der schweizerischen mit der EWG-Wirtschaft wirkenden Zwang zur Anpassung. Wir werden zwar in der EWG nicht mitbestimmen, aber zum Nachvollzug der Brüsseler Beschlüsse gezwungen sein. Die Schweiz wird ein Satellitenstaat der EWG werden.
Das Musterbeispiel einer solchen “Sachzwangs” ist die Mehrwertsteuer. Der Zollabbau wird dem Konsumenten nichts bringen, sondern höchstens die Gewinnmargen des Handels erhöhen. Für den Einnahmenausfall in der Bundeskasse bezahlt der Konsument, indem die gegenüber der gegenwärtigen Umsatzsteuern Waren und neu auch Dienstleistungen erheblich höher belastende Mehrwertsteuer eingeführt wird, genau nach EWG-Vorbild. (…)
Was ist die EWG?
Mit dem EWG-Vertrag tritt die Schweiz keine Fahrt ins Blaue an. Aber auch die glühendsten “Europäer” wagen nicht, offen einzugestehen, dass das Endziel Vollmitgliedschaft in der EWG heisst, weil sie befürchten, dass das Volk nicht in diesen Zug steigen würde. So wird EWG-Europa dem Schweizer in Dosen verschrieben; die Integration in Raten ist das Berner Rezept.
Die EWG ist das Gegenteil einer demokratischen Gemeinschaft freier Nationen. Sie ist weder aus dem freien Willen der Völker entstanden, noch sind ihre Institutionen demokratisch. Sie dient der Struktur der Herrschaft des Grosskapitals über die Arbeitenden aller Mitgliedstaaten. Auf diesen Zweck zugeschnitten sind ihre Organe. Die EWG ist der Volkskontrolle entzogen. Ihr Parlament ist eine Scheinparlament, dessen Vertreter ernannt und nicht gewählt werden und das über keine der grundlegenden Rechte eines Parlaments verfügt. Es hat keine Kompetenz zur Genehmigung völkerrechtlicher Verträge der EWG, es verfügt über keine Rechtsetzungskompetenz, sein Konsultationsrecht ist unvollständig und unverbindlich, es hat kein Investiturrecht und die Exekutivorgane sind ihm weder zur Berichterstattung, noch zur Auskunft verpflichtet. (…)
In der EWG herrschen die Monopole
In diesem undemokratischen EWG-Europa bestimmen die grossen multinationalen Konzerne. Eine immer kleinere Zahl mächtiger, einander teilweise konkurrenzierender, gleichzeitig auch oft zusammenarbeitender Kapitalistengruppen beherrschen und lenken entscheidende Gebiete der wirtschaftlichen Tätigkeit und schränken die Bewegungsfreiheit der Regierungen auf handels-, finanz-, und währungspolitischem Gebiet ein.
Dieses Europa wir immer mehr von den USA abhängig. (…)
Die EWG, das darf nicht vergessen werden, ist das wirtschaftliche Rückgrat der Nato. Das Freihandelsabkommen verstärkt die Gefahr, in den Militärblock einbezogen zu werden. Nicht zuletzt dieser Umstand verbietet einem neutralen Staat, in den EWG-Staat einzusteigen.
Die Folgen: Betriebsschliessungen
Wie wirkt sich das von Zollschranken geräumte EWG-Europa auf die Schweizer Wirtschaft aus? Es ist vorauszusehen, dass die wirtschaftlich starken noch stärker werden. Der Bundesrat hat diesen Tatbestand in seiner Botschaft in die einfachen Worte gekleidet: «Zweifellos wird der freie Warenverkehr in Europa den Konzentrationsprozess begünstigen.»
Was von Bundesrat Brugger als harmlos «westeuropäische Flurbereinigung» hingestellt wird, bedeutet schlicht und einfach, dass der «Strukturbereinigung» in rascherer Folge weitere Betriebe zum Opfer fallen, und dass der Abstand zwischen den entwickelteren und den weniger entwickelten Gebieten des Landes noch grösser wird. Dies könnte «für den einzelnen Arbeitnehmer Arbeitsplatz- und Wohnortswechsel sowie Umschulungsprobleme mit sich ziehen», meint Christoph Eckenstein, Sprecher der schweizerischen Verhandlungsdelegation in Brüssel. (Zeitschrift «neutralität», 1972)
Die Lohnverdiener müssen entscheiden !
Die Partei der Arbeit ist sich bewusst, dass für die Lohnabhängigen die wesentlichen Probleme mit oder ohne EWG-Vertrag die gleichen bleiben. Mit dem Freihandelsabkommen erhalten die Konzerne und besonders die multinationalen Gesellschaften bessere Möglichkeiten, wirtschaftliche Macht immer rascher in immer weniger Händen zu konzentrieren.
Die Arbeitenden stehen dieser Entwicklung nicht machtlos gegenüber, wenn sie erkennen, dass es nicht mehr genügt, nur bis zur eigenen Landesgrenze zu sehen und im eigenen Bereich nicht mehr als den Teuerungsausgleich und bestenfalls eine dem Produktivitätszuwachs entsprechende Reallohnerhöhung zu verlangen.
Die Beispiele Akzo und Dunlop-Pirelli
Der Akzo-Konzern konnte seinen Betriebsschliessungsplan nur teilweise – ausgerechnet nur in der Schweiz bei der Feldmühle Rorschach1 – durchführen, weil die holländische, belgische und westdeutsche Akzo-Belegschaft solidarisch waren. Die Arbeiter der Dunlop-Pirelli-Gruppe streikten in Grossbritannien2 und in Italien gleichzeitig. Was gestern und heute im nationalen Rahmen von den Arbeitenden gefordert wurde und wird, dafür müssen die Werktätigen heute und morgen in ganz Westeuropa koordiniert kämpfen. Diese Aufgabe steht mit oder ohne EWG-Vertrag vor der schweizerischen und der gesamten westeuropäischen Arbeiterbewegung.
Mehr Rechte den Werktätigen !
In erster Linie müssen sich die Lohnverdiener vor den Folgen der kapitalistischen Konzentration schützen. Sie können dies umso besser, je mehr Rechte sie besitzen, je mehr das freie Verfügungsrecht der Unternehmer über die Produktionsmittel eingeschränkt und je mehr Kontrolle sie über den Produktionsprozess erkämpft haben.
Wie weit das Monopolkapital seine Pläne verwirklichen kann, hängt in erster Linie von den westeuropäischen Werktätigen ab. In der Schweiz und im erweiterten EWG-Raum wird die Arbeiterbewegung sich nicht damit begnügen können, gegen die negativen Folgen der Integration zu kämpfen, sondern sie wird national und übernational Alternativen gegen die Herrschaft des Monopolkapitals entwickeln müssen.
(«Vorwärts», 19. Oktober 1972)
1 Betriebsschliessung 1973, rund 350 Entlassungen
2 Grossbritannien steht hier als Beispiel für ein Nichtmitglied der EWG. Es trat ihr erst 1973 (nach dem Erscheinen des Artikels) bei.
Quelle: PdA: Gleichschaltung mit dem Europa der Trusts?, in: «Vorwärts» Nr. 41; 19. Oktober 1972; zitiert nach: Arbeitsgruppe für Geschichte der Arbeiterbewegung (Hrsg.): Schweizerische Arbeiterbewegung – Dokumente zur Lage, Organisation und Kämpfen der Arbeiter von der Frühindustrialisierung bis zur Gegenwart”; Limmatverlag, Zürich 1975, S. 381ff. (Dok. Nr. 214)
- Die PdA Schweiz sagt NEIN zur EU-Personenfreizügigkeit
- Gemeinsame Stellungnahme zum EU-Vertrag
- Gemeinsamer Aufruf über die EWG-Gründung 1957
- Dossier EU
Siehe auch:
- Resolution der Parteileitung der PdA für die nationale Konferenz vom 21. November 2009: GEBEN WIR DER PDA WIEDER EINE ROLLE IN DER SCHWEIZER GESELLSCHAFT
- Zum Parteitag der PdA in Zürich November 2008: PdA-Kongress in Aufbruchstimmung