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Wahlen und Zukunft der Türkei - eine kurze Analyse

In der Türkei fanden am 7. Juni 2015 die Parlamentswahlen statt. Die regierende AKP (Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei, von Erdogan geführt und von seinem Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu präsidiert) erhielt 40,86 Prozent der Stimmen, wobei sie 9% der Stimmen und damit die absolute Mehrheit im Parlament verlor. Die CHP (Republikanische Volkspartei) kam auf 24,94% der Stimmen, was einem Verlust von 1 Prozentpunkt im Vergleich zu den letzten Wahlen 2011 gleichkommt. An dritter Stelle wurde die MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) mit 16,28% gewählt, ein Plus von rund 3%. Die HDP (Partei der Demokratie der Völker) hat 13,11% erhalten. Infolge der Gesetzgebung, welche für die Vertretung von politischen Parteien im Parlament einen Wähleranteil von mindestens 10% vorschreibt, hatte die HDP früher mit individuellen und unabhängigen Kandidaten teilgenommen. Deshalb scheint ein direkter Vergleich schwierig, aber es wird geschätzt, dass die Partei rund 7% der Stimmen dazu gewonnen hat.

Die Vatan Partisi ( vormals Arbeiterpartei ) erhielt 0,35% der Stimmen und wurde sechstgrösste Partei, in Wahlergebnissen ausgedrückt. Wir dokumentieren nachstehend eine Erklärung des Stellvertretenden Vorsitzenden der Vatan-Partei, Yunus Soner, zur Bewertung der Wahlergebnisse:

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Yunus Soner, Vizepräsident der Vatan Partisi

Kommentar von Yunus Soner zum Wahlausgang

Die Türkei bewegt sich auf das hin, was wir die “Radikallösung” nennen. Unser Land steht vor zwei unterschiedlichen zentralen Herausforderungen.

1. Wirtschaftskrise

In den letzten 50 Jahren wurde die türkische Wirtschaft in die Weltwirtschaft integriert und durch diese aufgebraucht. In den letzten 12 Jahren der AKP-Regierung ist die Wirtschaft in eine “Diktatur des heissen Geldes” übergegangen. Ihr Funktionieren wurde abhängig von der Kreditentwicklung, aber dieser politische Kurs gelangte an ein Ende.

Die diesjährigen Schulden allein zwingen die Regierung, rund 250 Milliarden US-Dollar neue Schulden zu finden – ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen.

Die türkische Wirtschaft und Gesellschaft werden daher mit einer grossen Krise konfrontiert sein, welche die Integration der Türkei in die globalen Kapitalmärkte und das System der Finanzspekulation in Frage stellen wird.

Die Alternative der Türkei zu dieser Fehlentwicklung besteht im Übergang zu einer Ökonomie der Produktion mit einem gemischten Modell unter öffentlicher Führerschaft.

2. Ethnische Spaltung

Zusammen mit dem Iran, Irak und Syrien steht die Türkei vor der Bedrohung durch ethnische und religiöse Teilung.

Der damalige Aussenminister, später Staatspräsident und heute ein international diskutierter Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, Abdullah Gül, hatte der türkischen Presse bereits 2004 erklärt, dass er eine Vereinbarung von “zwei Seiten und 9 Artikeln” mit US Aussenminister Colin Powell unterzeichnet habe.

Diese Vereinbarung zusammen mit der weiteren US-Politik gegenüber der Türkei verfolgten bezweckten:

Die US-Position: AKP-CHP-Koalition

Das US-Programm für die Wahlen war, kurz gesagt, das Festhalten der Türkei im System der Spekulationswirtschaft trotz Schuldenkrise, sowie die Aufteilung des Landes. Die USA kamen zum Schluss, dass die amtierende AKP-Regierung nicht imstande war, diese beiden Programmpunkte zu erfüllen. Die AKP war nicht in der Lage, die Türkei weiterhin allein zu regieren. Washington verfolgte daher aktiv eine Koalition zwischen AKP und CHP.

Als externes Bein dieser Koalition und als Schritt zur Legalisierung der PKK, hatte deren legaler Arm, die HDP, die parlamentarische 10%-Hürde zu passieren.

Diese Koalition war auch gedacht, um Bestrebungen Erdogans zu einzugrenzen, der lange Zeit ein US-Verbündeter war und früher in der westlichen Presse deswegen gefeiert wurde. In den letzten Jahren jedoch wurde Erdogan jedoch dafür kritisiert, dass er den sogenannten Friedensprozess, die Verhandlungen mit der PKK, verzögere.

Harsche Kritik der westlichen Medien gab es auch für die jüngste Politik seiner Regierung gegen die Gruppe von Fethullah Gülen, den im Exil in den USA lebenden Führer einer religiösen Sekte und wirtschaftlichen Interessengruppe. Gülen und seine Organisationen sind seit langem bekannt und werden in der türkischen Presse und in staatlichen Dokumenten als Undercover-Organisation mit Verbindungen zur sogenannten Gladio dokumentiert.

US-Wahlkampf

In Abstimmung mit der Analyse und dem Ziel der treibenden Finanzkräfte hinter der neuen Koalition starteten die pro-amerikanischen türkischen Medien und internationalen Organisationen eine Kampagne gegen Erdogan auf der einen Seite und pro-HDP auf der anderen.

In Bezug auf die Wirtschaftskrise wegleitend war die Ernennung von Kemal Derviş, einem ehemaligen Weltbank-Experten und IWF-Manager der letzten Krise im Jahr 2001, zum designiertem Wirtschaftsminister für die CHP.

In Bezug auf die neue Verfassung haben die Koalitionsparteien und der HDP sehr schnell ihren Willen zur Zusammenarbeit erklärt.

Als Kernelement wurde die HDP bei den Wahlen als von der PKK unabhängige politische Partei präsentiert, mit Appellen von CHP-Führern, die offen zur Stimmabgabe für die HDP aufriefen.

In seinen letzten Tagen endete der Wahlkampf mit Leitartikeln in Medien wie New York Times und Economist, die wiederum offen aufriefen, gegen Erdogan und für die HDP zu stimmen.

Eine Bombe, die am allerletzten Tag der Kampagne an einer Demonstration der HDP gelegt wurde, fügte sich zum konstruierten Widerspruch zwischen der HDP und Erdogan.

Die Ergebnisse

Wie die obigen Ergebnisse zeigen, ist das US-Projekt aufgegangen. Die Wahlergebnisse reflektieren die ethnische und sektiererische Spaltung. Mit einer Koalition am Horizont, welche verspricht, die Wirtschaftskrise durchzustehen und die Teilung der Türkei zu vertiefen. Mit dem HDP ist eine politische Partei, die ihre Befehle von einer bewaffneten Terrororganisation empfängt, in der Mitte des Parlaments angekommen.

Bemerkenswert ist, dass die USA diese Organisation “unsere aktuell besten Verbündeten im Nahen Osten” nennen.

Wie von den USA gefordert, wird die erwartete AKP-CHP-Koalition die Autorität des Präsidenten Erdogan begrenzen. Seine Zurückhaltung bei der Umsetzung der Politik der Teilung, seine Schritte in Richtung Eurasien und seine Politik gegenüber Syrien werden zugunsten eines deutlicher pro-amerikanischen Ansatz aufgegeben werden.

Die Vatan-Partei

Die Vatan-Partei (früher: Arbeiterpartei) focht ihre Wahlkampagne unter dem Motto “Die Türkei wieder vereinigen und produzieren”. Highlights des Wahlkampfes waren ein offizieller Besuch der Solidarität und Freundschaft bei Syriens Präsident al-Assad und eine Demonstration der Einheit in der vornehmlich von Kurden besiedelten Provinz Hakkari.

Ein weiterer wichtiger Schritt war das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Gunsten des Parteivorsitzenden Dogu Perincek, mit welchem entschieden wurde, dass die Ereignisse von 1915 nicht als “Völkermord” in rechtlicher Hinsicht gelten und sich wesentlich vom Holocaust unterscheiden.

Trotz des Wahlkampfs erreichte die Vatan-Partei ein Ergebnis, das als absolut unbefriedigend zu bewerten wird. Der US-basierte Meinungbildungsprozess und die 10%-Schwelle erscheinen als wichtige externe Faktoren.

Die Organe der Vatan-Partei werden zusammentreten und auch die verschiedenen internen Faktoren gründlich analysieren und Lehren für den kommenden politischen Kampf ziehen.

Dennoch hat sich die Analyse der Herausforderungen nicht verändert. Nach der Wahl ist die Türkei weiterhin mit einer Wirtschaftskrise und der drohenden Balkanisierung konfrontiert. Die Vatan-Partei ist bereit, sich diesen Herausforderungen zu stellen, mit der gleichen Entschiedenheit wie zuvor.

Original (engl.): Vatan Partisi: Turkey’s elections and future – a brief analysis (Juni 2015) – Übersetzung: kommunisten.ch (24.06.2015)


Siehe auch:


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