Massimiliano Ay: «Es gibt nicht nur die EU, mit der die Schweiz reden kann!»
Vor einem Jahr hat die Schweiz in einer Volksabstimmung eine Bremse gegen die Einwanderung gezogen. Die Kommunistische Partei hatte sich gegen diese Massnahme gestemmt. Das Tessiner Portal “sinistra.ch” sprach mit Massimiliano Ay , Kandidat der Kommunistischen Partei für den Staatsrat und den Grossen Rat in den bevorstehenden kantonalen Wahlen vom April.
Sinistra.ch: Vor einem Jahr, am 9. Februar 2014, hat das Schweizer Volk einen Vorschlag der SVP angenommen, die Anwesenheit von Ausländern in der Schweiz mit ihrer Initiative “gegen die Masseneinwanderung” zu begrenzen. Wie sehen Sie die Lage aus Distanz eines Jahres zu jenem Ereignis? – Massimiliano Ay : Die Gründe, welche die Bevölkerung zur Annahme jener Initiative bewogen haben, sind zum einen auf auf die Unterwürfigkeit der schweizerischen Regierung gegenüber der EU zurückzuführen, und zum anderen auf die völlige Unfähigkeit zum Anpacken der sozialen Probleme der Grenzregionen, worauf die Kommunistische Partei zu wiederholten Malen hingewiesen hat. Leider glaube ich nicht, dass reale Schritte nach vorwärts getan worden sind: wenn der Staatsrat [Regierung d. Kantons Tessin] zum Beispiel Normalarbeitsverträge zu blossen 3’000 Franken gutheisst, ist es er selber derjenige, der die Löhne der hier Niedergelassenen nach unten drückt! Und dann ist es gewiss, dass die SVP ein leichtes Spiel hat! Ich halte dafür, dass es Zeit ist, die Volksinitiative “Genug mit dem Lohndumping im Tessin” umzusetzen, die wir mit der BfS und anderen Organisationen schon im Jahre 2011 eingereicht haben.
Die Initiative der SVP sah drei Jahre zur Umsetzung vor. Bis dahin fehlen noch zwei Jahre. Denken Sie, dass es dem Bundesrat gelingen wird, dieses neue Gesetz zu vollziehen? – M. Ay : Die Umsetzung der SVP-Initiative ist schwierig, denn sie bedeutet in der Tat die Infragestellung aller Beziehungen unseres Landes zur EU, mit der unsere Wirtschaft eng verbunden ist. Aber die Bevölkerung will offensichtlich die Diktate aus Brüssel nicht zulassen, und auch gewisse Gewerkschafter sollten dies endlich kapieren. Wir wollen endlich anerkennen, dass es auf der Welt nicht nur die EU gibt? Die rohstoffarme Schweiz kann sich nicht ins Schneckenhaus zurückziehen, aber sie kann sich ihre Partner auswählen! Ich rege an, die Zusammenarbeit mit den aufstrebenden Volkswirtschaften der sogenannten BRICS-Länder und Eurasiens zu verstärken.
Die Sozialisten haben eine Wiederholung der Abstimmung vorgeschlagen, weil die Bürger nicht verstanden hätten, dass die SVP-Initiative zu einer Krise der bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der Europäischen Union führen würden. Was halten Sie davon? – M. Ay : Auch als Gegner der Initiative betrachte ich die Forderung nach einer erneuten Abstimmung für einen Fehler. Das kommt mir als Provokation vor, die den Volkswillen missachtet; und ich halte es nicht für eben klug, die Bevölkerung aufzuhetzen. Insbesondere unterschätzt diese Forderung das Klima des sozialen Unbehagens, das die Stimmbürger zur Annahme jener Initiative geführt hat. Jetzt ist diese Lage gegeben, ob es uns gefällt oder nicht. Es geht nicht darum, erneut abzustimmen, sondern Lösungen zu finden, indem man die Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen verbessert: Gesamtarbeitsverträge, Mindestöhne, keine Austeritätsmassnahmen zu Lasten der Volksschichten, aber vor allem braucht es Investitionen in die produktiven Sektoren mit hoher Wertschöpfung, die unserem Land auch vor dem Hintergrund einer starken globalen Konkurrenz einen vorzüglichen Platz sichern können. Wenn wir das nicht tun, steht der Niedergang bevor.
Kürzlich hat Bern einen neues Besteuerungsabkommen mit Italien ausgehandelt, und die Nationalbank hat den Mindestsockel des Wechselkurses zum Euro aufgegeben. Welche Auswirkungen sind von daher zu erwarten? – M. Ay : Wir Kommunisten waren immer gegen den Mindestsockel für den Kurs Franken/Euro, und in dieser Hinsicht bilden wir eine Ausnahme auf der linken Seite, aber das sind wir mittlerweile gewöhnt. Man muss den starken Franken als einen Vorteil nutzen: indem man stark auf die Wertschöpfung setzt, was wir teilweise bereits tun (aber nicht in ausreichendem Masse, um uns virtuos und dauerhaft in die neuen internationalen Wirtschaftsbeziehungen eintauchen zu können); indem man auf tiefe Preis der importierten Rohstoffe und auf Einmaligkeit der exportierten Endprodukte und Dienstleistungen setzt, welche daher – trotz der hohen Bewertung des Frankens – nicht oder jedenfalls nicht kurzfristig ersetzbar sind – aber ohne Unterwürfigkeit wie bei der von der SNB gewollten frevelhaften Verankerung am Euro – und vor allem, indem wir uns den BRICS öffnen.
Quelle: Massimiliano Ay: Non c’è solo l’UE con cui la Svizzera può dialogare! | sinistra.ch (12 febbraio 2015)