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Flankierende Eintagsfliegen

EU-Personenfreizügigkeit: Der Schweizerische Gewerkschaftsbund als Hans im Glück

Die grossen Gewerkschaften rühmen ihr eigenes Verhandlungsgeschick im Kuhhandel, welcher darin besteht, dass sie dem Bundesrat helfen, die unbeliebte EU-Annäherung schrittweise in Volksabstimmungen durchzuboxen, und im Gegenzug die sogenannten “flankierenden Massnahmen” zu erhalten, soll heissen Massnahmen zum Schutz gegen das Lohndumping infolge der sogenannten Öffnung des Arbeitsmarkts, lies Deregulierung, Flexibilisierung, Abbau der Arbeiterrechte.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) empfiehlt ein JA zu Abstimmung vom 8. Februar 2009 über das Freizügigkeitsabkommen mit der EU. Auf der einen Seite hebt der SGB die Bedeutung von Nachbesserungen bei den –flankierenden Massnahmen» zur Personenfreizügigkeit hervor, die er dem Bundesrat abgerungen habe. Das Verhandlungsergebnis könne sich sehen lassen, verkündete der SGB am 4. Dezember. Leider erwähnt er mit keinem Wort die EU-weit betriebene und EU-koordinierte Politik zur Stutzung Arbeiterrechte und namentlich des kollektiven Arbeitsrechts, von der die Absichten der Arbeitsminister zur Einführung der 65-Stundenwoche oder die Rechtsprechung des EU-Gerichtshofes zur Freizügigkeit der Dienstleistungen als krasse Beispiele zeugen. Er verweist nicht auf die EU-seitigen Umtriebe zur Verschärfung der unmenschlichen (repressiven, selektiven, diskriminierenden usw.) Elemente in der Immigrationspolitik.

Vertrauen ohne zu prüfen?

Mehr als einmal haben Bundesrat und Parlament ihre Ablehnung einer fortschrittlichen Forderung damit begründet, dass sie selbst genügend Instrumente hätten oder rasch genug aus der Schublade ziehen könnten und auch bereit seien, von diesen in Richtung des gewünschten Fortschritts zu Gebrauch zu machen, sofern eine entsprechende Lage eintreten würde, die dies rechtfertige. Solche Versprechungen spielten eine grosse Rolle bei der Bodigung zahlreicher Volksbegehren, darunter von vielen gewerkschaftlichen Initiativen. Wie oft schon haben die Gewerkschaften selbst sich darüber beklagt und empört, dass der Bundesrat Verschlechterungen dieser und einer Art vorschlägt. Handelt es sich etwa nicht um die Abschaffung von seinerzeitigen Verbesserungen, die vor Jahrzehnten im Ergebnis eines Kompromisses erzielt worden waren? Wurde nicht in allen diesen Fällen der Arbeiterklasse im Gegenzug ein Zugeständnis aufgezwungen? Ist es nicht so, dass im letzten Jahrzehnt Tausende von alten Verbesserungen abgeschafft worden sind, während sich die dafür geschluckten Verschlechterungen sich zementieren und expandieren?

Bekanntlich hat Finanzminister Merz einen Gesetzesentwurf angekündigt, um die indirekte Wirkung von Gesamtarbeitsverträgen (GAV) bei Verträgen der öffentlichen Hand zur Errichtung öffentlicher Werke auszuschliessen. Damit zeigt der der Bundesrat seine Eile, das Land auch der arbeiterfeindlichen Praxis des EU-Gerichtshofes zu unterwerfen, welche die Drittwirkung eines GAV bei der Vergabe von Werken ausschliesst. Damit leistet der Bundesrat aber auch einen weiteren Beitrag zur Ernüchterung, ein Beispiel mehr, woran klar wird, dass die Schweiz durch den Abschluss des Abkommens systematisch in “Sachzwänge” versetzt wird, EU-Recht in grösserem Umfang zu übernehmen, als es der Wortlaut des Bundesbeschlusses ausdrückt, der am kommenden 8. Februar zur Abstimmung steht.

Wie glaubwürdig und wie beständig sind nach allen diesen Erfahrungen nun die Beteuerungen des Bundesrats, wonach er bereit sei, gegen das Lohndumping einzuschreiten. Woher nimmt der SGB sein Vertrauen in den Bundesrat und ersetzt er die Prüfung durch den blinden Glauben in Versprechen, die eine Regierung in Abstimmungsnot erteilt?

Flankierende Eintagsfliegen gegen das Lohndumping

Was bisher an sogenannten flankierenden Massnahmen aufgetischt wurde:

  • Die Bedingungen, unter denen der Bundesrat einen Gesamtarbeitsvertrag allgemeinverbindlich erklären kann, werden erleichtert.
  • Der Bund erhöht die Anzahl der Inspektoren, welche die Einhaltung von Gesetz und Vertrag überprüfen

Er habe Nachbesserungen verlangt und das Verhandlungsergebnis könne sich sehen lassen, schrieb der SGB am 4. Dezember. Der Gesamtarbeitsvertrag für Temporäre werde allgemeinverbindlich erklärt und die zuständigen Stellen seien bereit, einen Normalarbeitsvertrag mit Mindestlöhnen für Hausangestellte ausarbeiten zu lassen. Bei Lichte besehen erschöpfen sich alle die pompös verkündeten flankierenden Massnahmen in einem Bündel von Kompetenzen der bürgerlichen Regierung – und nicht etwa der Arbeiterklasse. Der Bundesrat allein entscheidet, wie lange eine Politik gilt. Die Regierung entscheidet, ob sie ihre Instrumente zum Dienst am Fortschritt einsetzen will und wie lange sie es mit welchem Eifer tun will.

Regierungen können solche Instrumente nicht nur rosten lassen, sondern jederzeit gegen die Lohnabhängigen kehren, wenn es die Umstände erfordern und gestatten, und sei es nur in der Form der Drohung, die Hebel andersherum zu betätigen und von ihrer Kompetenz in einer arbeiterfeindlichen Richtung Gebrauch zu machen, indem sie z.B. eine nötige Allgemeinverbindlichkeitserklärung nicht erneuern. (Man erinnert sich, wie der Bundesrat mit seiner Möglichkeit spielte, bestimmte ILO-Schutzabkommen wie dasjenige über Nachtarbeit der Frauen aufzukündigen. Lange vor der Kündigung benutzte er bereits deren Androhung als Druckmittel, um den Lohnabhängigen Konzessionsbereitschaft in diesem oder anderen Fragen nahezulegen.)

Hans-im-Glück-Strategie oder Strategie der Arbeiterklasse?

Was die Arbeiterklasse im Sinne von Teilforderungen und Zugeständnissen auf dem Boden der Kapitalherrschaft aufstellen will, muss geeignet sein, den nahen und ferneren Zielen einer Stärkung der eigenen Klassenkräfte zu dienen (Stärkung des politischen Einflusses der Klasse bzw. Hebung der ihrer materiellen Lebenslage). Unter dem Titel der flankierenden Massnahmen muss die Arbeiterklasse das Recht verlangen, die klasseninternen und deswegen nicht antagonistischen “Konkurrenzfragen” intern zu regeln. Die Arbeiter müssen das Recht verlangen, sich mit den organisierten Arbeiterklassen der Herkunftsländern über die Grundsätze der Migration von Klassengenossen zu verständigen.

Die Bourgeoisie regelt viele Fragen einseitig, in eigener Machtvollkommenheit und intern. Die Auslagerung der Zuständigkeit für die Währungspolitik in regierungsunabhängige Zentralbanken, wo das Grosskapital unter sich ist, bildet nur ein besonders krasses von vielen Beispielen dieser Praxis. Was hält den Gewerkschaftsbund davon ab, eine analoge Kompetenz für die Arbeiterklasse zu fordern?

Die Gewerkschaften haben sich auf ein weichenstellendes JA verpflichtet, das kaum mehr rückgängig zu machen und in seinen verhängnisvollen Folgen noch kaum abzusehen ist. Dafür haben sie sich etwas sehr Vergängliches eingehandelt: keinen Spatz in der Hand und nicht einmal eine Taube auf dem Dach; nicht viel mehr als das leere Versprechen, dass die flankierenden Eintagsfliegen, mit denen sie sich heute brüsten, in Zukunft noch Flügel haben sollten.

(20.12.08/mh)