Ukraine provoziert Gaskonflikt und EU nimmt zwiespältige Haltung ein
Die EU vertritt im Gasstreit einen eigentümlichen Standpunkt. Erstaunlich für die Russen ist, dass die betroffenen EU-Länder diesen Konflikt soweit eskalieren liessen und nicht längst die für solche Fälle vorgesehenen rechtlichen Schritte eingeleitet haben, die ihnen Artikel 27 der Energiecharta zur Beilegung von Streitigkeiten zur Verfügung stellt.
Die EU hatte wochenlang versucht, sich aus dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine herauszuhalten. Durch seine feste Haltung hat Russland hat die EU gezwungen, die zunächst abgelehnte Vermittlerrolle nun doch zu übernehmen, um die Ukraine zur Vernunft zu bringen.
Die EU hat sich in eine Lage hinein manövriert, die Russlands Plänen für eine Ostsee-Pipeline neuen Auftrieb gibt. Diese Pipeline würde den Handel zwischen Russland und EU von der Erpressbarkeit durch Kiews Transitblockaden befreien. Aber vor allem Polen legt sich dagegen quer. Die EU hat die Vermittlerrolle annehmen müssen. Ob sie die Ostseepipeline und damit verbundene polnische Kröten auch noch schlucken muss, wird sich weisen.
Trotz Vereinbarung kein Gas
Aber selbst die unter EU-Vermittlung endlich zustande gekommenen Vereinbarungen werden nicht eingehalten und die Kontrolleure vor Ort, welche prüfen sollten, wie viel Gas die Ukraine durchlässt, werden in ihrer Arbeit behindert. Russland hat nun zu einer nochmaligen Konferenz nach Moskau eingeladen, um diese Sache erneut unter allen Beteiligten zu besprechen, nachdem die bereits erzielte Lösung an der Ukraine scheitert oder von ihr sabotiert wird. Die Ukraine will der Konferenz ausweichen und hat im polnischen Präsidenten Lech Kaczynski einen willigen Fluchthelfer gefunden. Dieser alte Russenfeind versucht, eine Gegenkonferenz (in Kiew!) auf die Beine zu bringen, um die Moskauer Konferenz zu torpedieren und Juschtschenko ein Alibi für seine Absage dortens zu verschaffen. Offenbar bearbeiten die beiden auch ihren litauischen Amtskollegen Valdas Adamkus.
Die EU wird Putins Einladung wohl kaum ignorieren können. Wenn noch lange gefroren wird, dann werden die Leute gewisse Seiten in der Zeitung nur noch zu ihrem Brennwert nehmen, und die von den Medien gegen Russland gelenkten Proteste könnten sich bald gegen die eigenen Regierungen und antirussische Scharfmacher wenden, je mehr Einzelheiten bekannt werden.
In den osteuropäischen Ländern wird die Frage laut, warum die Ukraine nicht den Preis bezahlen will, den die Frierenden zu zahlen bereit wären, und den sie notabene auch der Ukraine bezahlen müssen. Diese tritt nämlich auch ihrerseits als Verkäuferin von Erdgas auf, und verwendet dafür billiges Gas aus Russland und asiatischen GUS-Staaten, streicht also die Differenz zum Weltmarktpreis ein. Gefragt wird auch, wieso die Ukraine ihre Transitverpflichtungen in Verbindung bringen will mit ihren selbstverschuldeten Schwierigkeiten bei der Einigung auf einen Preis für ein bilaterales Geschäft mit Russland.
Ukraine führt sich auf wie ein Wegelagerer
Es scheint, dass die Ukraine mit immer neuen Ausreden sich der Vertragserfüllung als Transitland entzieht und stattdessen russisches Erdgas abzapft und speichert, das für andere Länder bestimmt ist.
Nahezu alles spricht für die Glaubhaftigkeit der russischen Darstellung, dass diese illegalen Entnahmen auch verantwortlich sind für den Fall des Druckes in den Leitungen. Es fehlt nun das zum Wiederaufbau eines genügenden Gasdruckes usw. nötige “technische” Gas, um die von Russland eingespeisten Mengen in andere Länder zu befördern. Das technische Gas für die Transitlieferungen kostet nach russischen Schätzungen 730 Millionen Dollar pro Quartal.
Moskau lehnt es selbstverständlich ab, als Gaslieferant für Kosten von Transitleistungen aufzukommen, wie dieses verschwundene technische Gas, das vom Transitland zu stellen ist und in die Kalkulation der Transittarife einzufliessen hat. Die russische Seite hat jedoch angeboten, sich im Rahmen eines Konsortiums mit der EU an einem Kredit an die Ukraine zu beteiligen, damit dieses Land seinen aufgelaufenen und laufenden Verpflichtungen gegenüber Russland und den EU-Ländern nachkommen kann, vorab zur legalen Beschaffung des notwendigen technischen Gases.
Zwiespältige Haltung der EU
Aber Merkel bleibt bei ihrer Haltung und droht Russland mit einem “Vertrauensverlust”, wenn nicht bald Gas nach Europa fliesst. Der Ausgang des Seilziehens zwischen Russland und der EU ist offen. Merkel und Barroso setzen unter anderem auf Russlands Probleme mit dem Zerfall der Erdölpreise und drohen mit grobem Geschütz gegen den Gaspreis. Neben dem Hinweis der EU-Gewaltigen auf verlässlichere Bezugsquellen (niemals heisst es: verlässlichere Transitwege) kommt nun die Ankündigung von Regierungen der hauptbetroffenen Länder, dass sie ihre veralteten Atomkraftwerke wieder hochfahren wollen.
Die EU hat allerdings nur bedingte Chancen, sich dem russischen Standpunkt über längere Zeit erfolgreich zu widersetzen. Sehr viele sehen diesen Standpunkt ein, und fordern ein pragmatisches Vorgenen. Das scheint sogar bei Berlusconi der Fall zu sein. Es wäre widersinnig, von Putin zu erwarten, dass er “humanitäres” Gas liefert, ohne von den Kosten zu sprechen, und ohne die mindeste Garantie gegen die Gefahr, dass auch diese Lieferung auf der Strecke bleibt.
Ausser der russischen gehört auch die deutsche zu den am schwersten von der Krise betroffenen Volkswirtschaften. Russland mag finanziell angeschlagen sein, aber es ist politisch stark und steht in dieser Sache geschlossen hinter seiner Staats- und Regierungsführung. Politisch viel zerrissener ist die EU, die den Rückschlag des irischen Neins nicht überwunden hat. Bei den Juniwahlen für das EU-Parlament droht die EU-Gegnerschaft der Völker zum Hauptthema des Wahlkampfes zu werden, was sich schon in den österreichischen Nationalratswahlen abgezeichnet hat. Diese Lage erschwert es den realistischen Kräften in der EU, antirussische Manöver von Hitzköpfen auf dem Buckel der frierenden Völker zu unterstützen.
Kiew handelt nicht autonom
Es liegt auf der Hand, dass der Gaskonflikt nicht von Kiew im Alleingang entfesselt wurde. Die Machenschaften und das provokatorische Auftreten der Ukraine durch eine Verhandlungsführung, die das Bild abgibt, als ginge es ihr gerade darum, die eigenen Treuwidrigkeit herauszustellen, deuten darauf, dass diese Sache gründlich abgekartet worden ist und von den USA aus dirigiert wird. An der Kälte in Europas Stuben erwärmen sich verschiedene Interessengruppen. Die Atomlobby wittert Morgenluft und gehört zu den Kreisen, die nicht unbedingt an einer baldigen Beilegung des Konfliktes interessiert sind.
Klar ist, dass Juschtschenko seine russlandfeindliche Politik, die schon mit der geheimen Lieferung von Angriffswaffen für den georgischen Überfall auf Südossetien und Abchasien eine neue Stufe erreicht hatte, noch einmal intensiviert. Er versucht dabei, von der undurchsichtigen Lage zu profitieren, die er selbst in der Ukraine geschaffen hat, und welche von Korruption und Machtkämpfen rivalisierender Gruppen sowie Schwächung der Institutionen geprägt ist. Er versucht, eine Welle des Chauvinismus gegen Russland und gegen die ukrainischen Russen zu erzeugen und als starker Mann aufzutreten.
Dem Verhalten der Ukraine (ostentative Nichtgebundenheit an die normale Rolle eines Vertragspartners usw.) haftet etwas “Vorkriegsmässiges” an, eine Ausserkraftsetzung der Normalität und ein weiterer Eskalationsschritt zum Aufbau von diplomatischen Spannungen, welche die Militarisierung der Beziehungen zwischen den Staaten vorantreiben. Mittel dieser Eskalationsstrategie waren aufeinander folgende Abgaben und Widerrufe von Öusserungen ukrainischer Vertreter, die Infragestellung der Rechtsgültigkeit von Akten ukrainischer Behörden und Bevollmächtigten durch andere ukrainische Staatsorgane, der ständige Wechsel der eigenen Positionen durch die Ukraine, sogar solche Mätzchen wie die nachträgliche einseitige Einfügung von Zusätzen in eine bereits unterschriebene Vereinbarung.
Die Aufspeicherung von riesigen Gasvorräten durch die Ukraine (laut Timoschenko für ein Jahr), die nicht bezahlt und nach russischer Darstellung gestohlen wurden) gleicht ebenfalls einer Vorbereitungshandlung zu einem scharfen Wirtschaftskrieg mit Aussichten auf militärische Fortsetzung.
Die schizophrene Haltung der EU, die sich ganz anders benimmt, als es eine so mächtige Partei in gleicher Lage tut, wenn es ihr darum geht, ihre Interessen als Abnehmer konsequent zu vertreten, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die gewöhnlich nach ökonomischen Gepflogenheiten geführten Konflikte zunehmend nach strategisch-militärischen Gesichtspunkten entfesselt und abgewickelt werden. Es häufen sich Bemühungen, Konflikte ungelöst zu lassen und auf ein höheres Konfliktniveau zuzuspitzen.
Ein 2008 abgeschlossener strategischer Vertrag zwischen der USA und der Ukraine enthält seltsamerweise Bestimmungen über den Gastransit durch die Ukraine, ein Thema, welches – so könnte man denken – die entfernte USA nichts angeht, denn weder ist sie geographisch berührt noch wirtschaftlich direkt betroffen. Aber abgesehen von gewöhnlichen Geschäften (wie privaten Beteiligungen, oder Aufträgen von ausländischen Firmen in der Ukraine) und daherigen Interessen, die normalerweise zu ihrer Regelung nicht eines Staatsvertrages bedürfen, scheinen weitergehende Interessen der USA dahinter zu stehen. Die Ukraine, Georgien, die baltischen Staaten, Polen und andere Länder sollen als NATO-Vorposten und Aufmarschgebiete gegen Russland hergerichtet werden.
Einseitige Medien
Genüsslich berichteten westliche Medien, dass frierende Serben angeblich russische Flaggen verbrannt hätten. Die meisten Medien geben die Schuld am Gasstreit ungeprüft und einseitig Russland. Das werden sie auch bei jedem weiteren Streit tun, den der Imperialismus noch gegen dieses Land entfesselt, denn Russland gehört mit China, Iran, Indien zu den wichtigsten Gegenkräften, mit denen die Offensive des aggressiven imperialistischen Blockes aus USA und EU zu rechnen hat. Dass Moskau verantwortlich ist, kann sich ein Journalist gestatten, aus dem Reflex heraus zu schreiben, ohne vorgängig eine Prüfung der Sachlage vorzunehmen.
Kiews Verhalten wird auch nicht anhand der marktwirtschaftlichen Kriterien geprüft, die sonst für heilig genommen werden. Die Ukraine unter NATO-Freund Juschtschenko, einem Hätschelkind der westlichen Imperialisten, weigert sich nämlich, den Weltmarktpreis für Erdgas zu bezahlen und hat noch nicht einmal das bisher zu Vorzugsbedingungen erhaltene Gas abbezahlt. Russland hat – wie es sein gutes Recht ist und erst noch dem Credo von Merkel, Barroso und Konsorten entspricht – die Preisreduktionen abgeschafft, mit denen es die ukrainische Wirtschaft bis anhin subventionierte, und verlangt nun von Kiew dieselben Preise wie von anderen Abnehmern. Diese Tatsachen werden in den Medien weitgehend verschwiegen, obwohl sie offenkundig sind und unabhängig von der Frage des Gasdiebstahls bestehen, den die Ukraine leugnet.
Einige Wirtschaftsjournalisten propagieren gar die Auffassung, dass es sich bei Erdgas um den Ausnahmefall einer Ware handle, für die es gar keinen Weltmarktpreis gebe, und dass deswegen die NATO-freundliche Ukraine auch keinen solchen bezahlen müsse, sondern – um es ohne Umschweife zu sagen – nur die Hälfte davon.
(16.1.2009)
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