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Protest, Vertrauen und Kampf – 85.000 rote Karten für Sócrates

Am Samstag, 23. Mai war die portugiesische Hauptstadt Lissabon ein weiteres Mal Schauplatz einer grossen Protestdemonstration gegen die SP-Regierung Sócrates. Zum Protestmarsch aufgerufen hatte die Demokratische Einheitskoalition (Coligação Democrática Unitária – CDU). Diesem Wahlbündnis gehören ausser der Kommunistischen Partei (Partido Comunista Português – PCP) auch die portugiesischen Grünen (Partido Ecologista –os Verdes» – PEV) an.

Historisch grösste Parteidemonstration

Um den vollständigen Bruch mit der Regierungspolitik der letzten Jahrzehnte zu verlangen und den Aufbruch zu einer neuen Politik und ein besseres Leben zu fordern, nahmen nach Angaben der Veranstalter über 85’000 am Marsch “Protest, Vertrauen und Kampf” teil. Das ist die grösste Parteidemonstration, die das Land je gesehen hat. Bereits vor einem Jahr hatte die Portugiesische Kommunistische Partei rund 50’000 Genossen für einen Protestmarsch vor das Verfassungsgericht aufbieten können. Daran gemessen bedeutet der heutige Marsch eine Zunahme um 70%. Damit nimmt die Mobilisationskraft der Partei einen ähnlichen Aufschwung wie ihn der befreundete Gewerkschaftsverband CGTP-Intersindical schon registriert hat. Dieser blickt auf eine Reihe von wuchtigen Streiks und Manifestationen zurück, darunter die Manifestation vom 5. Juni 2008 mit 250’000 Werktätigen, welche den Rücktritt der Regierung verlangten.

Protest, Vertrauen und Kampf

Die Losungen und Transparente liessen keinen Zweifel: “Protest, Vertrauen und Kampf”, das sind deutliche Worte der Absage an den Reformismus und an die Beschränktheit von Tagesforderungen, wie wir sie hierzulande gewähnt sind. Oft richten sich die Losungen hierzulande an die Bourgoisie. Transparente mit der Inschrift “Gebt uns Arbeit, gebt uns Brot” wurden auch schon an 1.Mai-Umzügen gesehen. Aber auch abgesehen von solchen Extremfällen lesen sich die Losungen hierzulande oft so, als wolle man die Bourgeoisie nicht bekämpfen, sondern überzeugen, herüberziehen, gewinnen usw., selbst dann, wenn man ihr etwas abfordert. “Protest, Vertrauen und Kampf” sind hingegen Worte, welche die Arbeiterklasse an sich selbst richtet. Was man will, darüber verliert diese Losung kein Wort. Das ist so selbstverständlich, dass sie direkt zur praktischen Frage übergeht: was brauchen wir dazu? Dieses Herangehen zeugt von einem hohen Stand des Klassenbewusstsein. Um den gewaltigen Unterschied zu sehen, stelle man sich nur vor, was passieren würde, wenn in einem Land wie der Schweiz zum Marsch unter der Parole “Protest, Vertrauen und Kampf” aufgerufen werden sollte. Wo der Boden nicht lang genug durch eine gefestigte kommunistische Partei gepflügt worden ist, können sich bei denselben Worten gleich Zweifel und Fragen erheben: Vertrauen? Trau schau wem! Diese Klärungen haben die Portugiesen schon hinter sich.

Die Kommunisten und ihre Wahlverbündeten verlangten eine neue Politikrichtung und eine andere Regierung, welche eine Antwort auf Arbeitslosigkeit, Krise, Tiefstand der Löhne, Ungerechtigkeiten und Korruption gibt und imstande ist, ein Portugal mit Zukunft zu behaupten. Sie verlangten, dass nicht nur in Worten mit dem Neoliberalismus gebrochen wird. Der Protestmarsch bedeutet eine unerhörte Absage an mehr als 33 derselben Politik, die abwechslungsweise von SP und bürgerlichen Regierungen immer weiter nach rechts geführt wurde. In dieser Zeitspanne ist der Anteil der Löhne, der in den Revolutionsjahren 1974-76 über 60% des volkswirtschaftlichen Produkts ausmachte, auf rund 48% geschrumpft.

Rote Karte für Premierminister Sócrates

An der Abschlussveranstaltung in Lissabon erhoben die protestierenden Massen die roten Karten, die sie mitgebracht hatten, gegen die Regierung Sócrates (SP). Diese versucht erfolglos, von ihrer Verantwortung für die brutale Verschlimmerung der Lage der werktätigen Massen abzulenken. Sie versucht erfolglos, die Kommunisten zu isolieren, und beschuldigt die KP, wenn SP-Prominente wie der Spitzenkandidat für das EU-Parlament, Vital Moreira, von empörten Arbeitern ausgepfiffen und verjagt werden, wie dies am 1. Mai geschah. Dabei isoliert sich die Regierung selbst und sieht sich Massenkämpfen gegenüber, die an Umfang und Entschlossenheit zunehmen, und die schon weite Teile von staatstragenden Schichten wie Lehrerschaft, Beamte, Polizei und Armee in Opposition zur Regierung geführt haben. Und jetzt zeigt die Heerschau der PCP, dass sich auch die revolutionäre Speerspitze und Vorhut der Arbeiterklasse massiv vergrössert.

Hauptredner der Veranstaltung waren Ilda Figueiredo, Spitzenkandidatin des CDU-Bündnisses für die bevorstehenden EU-Parlamentswahlen, und PCP-Generalsekretär Jerónimo de Sousa. Die Wahlen zum EU-Parlament sind der Auftakt für die im Herbst vorgesehenen Wahlen zur Assembleia da República, dem portugiesischen Parlament, das aus einer einzigen Kammer besteht. Die Sozialisten müssen mit dem Verlust ihrer Parlamentsmehrheit rechnen und treiben grosse Aufwendungen, um den befürchteten Verlust von Wählern an die Kommunisten zu bremsen. Neben der Diffamierung der PCP kalkulieren sie noch auf alle Möglichkeiten, um mit “selbständigen” Listen der Parteilinken oder mithilfe des “Linksblocks” einige der Stimmen aufzufangen, die sich die SP durch ihre Regierungspraxis verscherzt hat. Ebenfalls dieses Jahr und möglicherweise zeitgleich finden die Wahlen für die lokalen Behörden statt.

(24.05.2009/mh)

Hauptquelle: PCP – Mais de 85000 na Marcha em Lisboa (Partido Comunista Português, 23.5.09)


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