Jorge Cadima: Mauern, Tote und Lügen
Aus dem «Avante!», Zentralorgan der Portugiesischen Kommunistischen Partei
«Der Abschied vom Kommunismus? Er hat eine Million Tote gekostet». Der Titel stammt nicht von einer kommunistischen Schrift. Er stand im Bericht einer Zeitung des italienischen Grosskapitals über eine Untersuchung von Professoren von Oxford und Cambridge, welche in der britischen Medizinzeitschrift The Lancet veröffentlicht worden war. Gestützt auf die Daten der UNICEF von 1989 bis 2002 bestätigen die Autoren laut Corriere della Sera (23.1.09), dass «die Politiken der massenhaften Privatisierung in der Sowjetunion und in Osteuropa die Sterblichkeit um 12,8% erhöht […], oder anders gesagt den vorzeitigen Tod von einer Million Personen verursacht haben. […] Am meisten wurde dort gestorben, wo Schocktherapien angewendet wurden: zwischen 1991 und 1994 fiel die Lebenserwartung in Russland um 5 Jahre». Die Schlussfolgerungen aus vorangegangen Studien waren noch schlimmer. Wie der Corriere della Sera schreibt, «zählte die Agentur der UNO für Entwicklung, die UNDP, im Jahre 1999 10 Millionen Personen, durch den irdischen Regimewechsel verschwundene Personen, und die UNICEF selbst sprach von über 3 Millionen Opfern.» Um diese grossartigen Resultate zu feiern, hat sich der Generalstab des Imperialismus in Berlin, mit Glanz und Gloria und nicht enden wollenden Fernsehübertragungen, zu einer Gedenkfeier für das 20-jährige Regime der Konterrevolution im Osten versammelt.
Die Bilanz der kapitalistischen Restauration ist noch schlimmer. Auch ohne vom Leiden der im Osten Lebenden zu sprechen – die Verbreitung der extremen Armut, der Obdachlosigkeit, der Prostitution, der Drogenabhängigkeit oder der Massenauswanderung um zu überleben – machten sich die Auswirkungen der Konterrevolutionen von 1989-91 auf dem ganzen Planeten bemerkbar. Die «Schocktherapien» eines triumphierenden und nach Wiedereroberung der im 20. Jahrhundert verlorenen Positionen gierigen Imperialismus haben sich in eine weltweite und todbringende Wirklichkeit verwandelt, und erhielten 2008 ihre unvermeidliche Zugabe: die grösste Krise des Kapitalismus seit den 30er Jahren. Eine Eskalade von tödlichen Kriegen wurde zur gleichen Zeit entfesselt, von einem Imperialismus, der von einem Gegengewicht der sozialistischen Staaten befreit ist. Viele Hunderttausende von Toten (650’000 allein im Irak, nach einer anderen, in der Lancet veröffentlichten Studie) sind die Frucht des «Berliner Mauerfalls», im Golf, in Jugoslawien, in Afghanistan, im Irak, im Libanon, in Palästina, und nun in Pakistan, um nicht von den «kleineren» Aggressionen zu sprechen. Und wurden durch den «Gulag» der Geheimgefängnisse geführt, die über der ganzen Welt verteilt sind, in welchem Tausende von Personen verschwinden, entführt und gefoltert von einem Unterdrückungssystem, das oberhalb jeglicher Kontrolle steht. Die Führer der «freien Welt» die, stolz, in Berlin zusammenkamen, sind alle verantwortlich für dieses Blutbad und diese Unterdrückung. Sie mögen ein sympathisches Gesicht aufsetzen und einander freundschaftlich mit Hillary, Angela, Nicolas, Bill, Tony oder auch «Porreiro Pá »[1] anreden. Aber von ihren Händen trieft Blut und Leiden von Millionen Personen in der ganzen Welt – von Peshawar bis Guantánamo (das weiterhin geöffnet ist), von Abu Ghraib bis Honduras (das nach wie vor unter Kontrolle der Putschisten und unter der Gleichgültigkeit der «demokratischen» gesellschaftlichen Kommunikation steht), von den mexikanischen «Maquiladoras» bis zu den palästinensischen Flüchtlingslagern (die nach wie vor – seit 60 Jahren -auf ihren Staat warten).
Durch den westlich-demokratischen «Gulag» kam auch Khalid Shaikh Mohammed, der nun in die USA vor Gericht kommt und angeklagt wird, der Hauptverantwortliche des 11. September zu sein (aber war das nicht Bin Laden?) Gemäss der New York Times (15.11.09) «wurde er 183 Mal der Fast-Erstickungs-Technik, genannt Waterboarding unterzogen». Die Zeitung behauptet, dass er sich auch «für eine Serie von Verschwörungen» verantwortlich erklärt hat, wie Mordversuche an Präsident Bill Clinton, am Papst Johannes Paul II. und für die Bomben von 1993 im World Trade Center». Noch eine simulierte Ertränkung, und er hätte sich auch seine Schuld für die Erderwärmung oder das Verschwinden von Don Sebastian[2] in Alcácer-Quibir zugegeben. Aber man trachtet dem Angeklagten nach dem Leben: Pakistaner, in Kuwait aufgewachsen und von einer amerikanischen Universität diplomiert, reiste er nach seinem Studium «nach Pakistan und Afghanistan, um sich den Kämpfern der Mujaheddin anzuschliessen, die in dieser Zeit Millionen von Dollars von der CIA erhielten, um gegen die sowjetischen Truppen zu kämpfen». (NYT, 15.11.09). Afghanistan, das heute besetzt ist und wo «gemäss Verantwortlichen der NATO […] ein Drittel der afghanischen Polizisten drogenabhängig sind». (Sunday Times, 8.11.09) Eine bewundernswerte neue Welt, die der «Mauerfall» geboren hervorgebracht hat!
Quelle/Original:: Muros, mortos e mentiras (por Jorge Cadima, Crónica internacional, in: Jornal «Avante!», N.º 1877, (19. Novembro 2009) | Übersetzung: kommunisten.ch
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1 “Porreiro, pá !” (port.): etwa wie “cool, man!” – Mit diesem Wort gratulierte der portugiesische Ministerpräsident Sócrates dem EU-Kommissionspräsidenten Durão Barroso zu einem Preis, der diesem mit der Begründung seiner Verdienste um Deutschland, Europa und die Welt zugesprochen wurde.
2 Der junge portugiesische König soll auf dem Schlachtfeld von Alcácer-Quibir 1578 verschollen sein.
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