Nordkorea sieht die Schweiz mit Interesse
Grossrat Massimiliano Ay erzählt von seinem diplomatischen Besuch: "Beeindruckt von der Ruhe des Volkes"
Im vergangenen August begab sich eine Delegation der Kommunistischen Partei der italienischen Schweiz, zusammengesetzt aus Massimiliano Ay und dem Gemeinderat von Giubiasco Alessandro Lucchini, nach Nordkorea auf eine diplomatischen Mission, die dem Besuch in der Demokratischen Volksrepublik Laos vorausging (siehe angegebene Artikel). Ein voll und ganz “internationalistischer Sommer” für die Kommunistische Partei, die es geschafft hat, sich in Nordkorea empfangen zu lassen, das als eines der unzugänglichsten Länder der Welt gilt, aber, um die Worte des stellvertretenden Leiters der KP zu verwenden “ein Land mit grossem Potenzial”. Ein entschieden aus dem Rahmen fallender Besuch, den wir uns direkt von Massimiliano Ay haben berichten lassen. (ticinonews.ch)
Wie war es möglich, ein Treffen mit der Delegation des Finanzministeriums in Nordkorea zu arrangieren? Ist es einem Tessiner Grossrat und einem Gemeinderat von Giubiasco Tessin gelungen, dort anzukommen, wo die Schweizer Diplomatie zu gehen unwillig oder unfähig war, oder besteht auf der nordkoreanischen Seite der Wunsch nach Öffnung gegenüber unserem Land?
“ Die erste Reise nach Pjöngjang unserer Partei war vor zwei Jahren, aber der allererste Kontakt mit Volkskorea geht auf das Jahr 2005 zurück, als ich Delegierter auf dem Kongress des Weltgewerkschaftsbundes in Kuba war: bei dieser Gelegenheit traf ich einen nordkoreanischen Gewerkschaftler. Bei mir war es die simple Neugier für ein relativ isoliertes und immer in Form von Karikaturen dargestelltes Land. Später, als Kommunistische Partei (KP), ging es um die Verbesserung unserer auswärtigen Beziehungen: dies ist ein strategischer Bereich für ein neutrales Land und für eine Wirtschaft wie die schweizerische! Heute haben wir in der KP Genossen, zuvorderst Alessandro Lucchini, die Know-how zu diesen Themen entwickelt haben, und in einigen Fällen erteilen wir Beratungen über politische und wirtschaftliche Themen. Ich möchte jedoch betonen, dass die Schweizer Diplomatie hoch entwickelt ist und geschätzt wird: die Beziehungen zwischen Bern und Pjöngjang bestehen seit vielen Jahren. Wir sind glücklich darüber, denn wir glauben an eine multipolare Welt, die sich auf die win-win-Kooperation zwischen souveränen Nationen gründet. Doch neben der offiziellen Diplomatie, die wir den Botschaftern überlassen, entwickeln wir als Kommunistische Partei auch eine autonome internationale Arbeit, dank privilegierter Kanäle, die von unserem ideologischen Hintergrund herrühren, welcher der wissenschaftliche Sozialismus und Antiimperialismus ist. Natürlich sind wir aber bereit, unsere Arbeit in den Dienst aller zu stellen. “
Die Schweiz und Nordkorea, was haben beide gemeinsam? Was haben wir von ihnen zu lernen, und was sie von uns?
“ Wir reden hier über sehr unterschiedliche nationale Gegebenheiten mit unterschiedlichen Traditionen und Bedürfnissen. Während wir über Stipendienkürzungen sprechen und sich hier die Studiengebühren erhöhen, ist in Nordkorea eine völlig freie akademische Ausbildung garantiert, einschliesslich Fernunterricht für die Arbeiter. Um nicht vom sozialen Wohnungsbau mit Mietzins Null zu sprechen. Die Nordkoreaner ihrerseits schauen mit grossem Respekt auf unser Land. Man muss in der Tat wissen, dass Pjöngjang seit Jahrzehnten die friedliche Wiedervereinigung mit Südkorea fordert und angesichts der erheblichen wirtschaftlichen und institutionellen Unterschiede, lautet der Vorschlag auf eine Wiedervereinigung auf bundesstaatlicher Grundlage: für sie das Studium des Schweizer Föderalismus von besonderem Interesse. Ferner schätzen sie an uns auch den Willen, uns nicht in die NATO und die EU zu integrieren: in Korea kommt die nationale Souveränität in der Tat vor jedem anderen Wert. Darüber hinaus hat Volkskorea das Bedürfnis, von uns zu lernen, wie es bei der Zertifizierung der Qualität seiner Produkte vorgehen muss, die sonst von ausländischen Märkten ausgeschlossen sind. “
Wenn man auf Nordkorea zu sprechen kommt, dann erhält man als erstes das Bild von einem Land unter eiserner Diktatur mit der Bevölkerung, die gezwungen wird, ihre Führer zu verehren und derweil ein spartanisches Leben zu führen. Was sind Sie in der Lage gewesen, von alledem zu sehen?
“ Wenn wir ihre Wirklichkeit durch die europäische Brille lesen, ist die Verehrung des Führers auf jeden Fall sehr stark, fast unverständlich. Wenn wir uns jedoch bemühen, aus dieser Lesart herauszutreten, werden wir sehen, dass die Achtung der Hierarchie und diese Form des Personalismus auch anderen asiatischen Kulturen im Einflussbereich des Konfuzianismus gemeinsam ist. Es gibt immerhin auch auch andere, für demokratisch betrachtete Länder, in denen der “Vater des Vaterlandes” gelobt und die ganze Zeit an ihn erinnert wird. In Volkskorea gibt es keine Einheitspartei: im Parlament sitzen Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei, mit denen wir wir uns auch unterhalten haben, und einer religiösen Partei. Das Mausoleum von Kim Il Sung und Kim Jong Il befindet sich in einem grünen Park, der für die Öffentlichkeit zugänglich ist und von Familien in ihrer Freizeit besucht wird: sie schienen mir nicht gezwungen, dort vorbei zu gehen, und in der Tat war ich von der Ruhe der Menschen und der völligen Abwesenheit von Raserei und Stress erstaunt. Insgesamt kann ich nicht sagen, dass ich ein verängstigtes Volk gesehen hätte. “
Eine Stellungnahme zu Kim Yong-un? Ist er eine ernste Person, mit der es möglich ist zu diskutieren?
“ Ich habe Kim Jong-un nicht getroffen, aber ich hatte ein Treffen mit Ri Su Yong, dem Stellvertretenden Vorsitzenden der Partei der Arbeit und bis im Mai letzten Jahres Aussenminister. Ich hatte den Eindruck, einer ernsten Person gegenüber zu sitzen, und ich spürte auf ihrer Seite den Willen zu diskutieren. Falls erforderlich, stehen wir als Schweizer Kommunisten zur Verfügung, um diesen Dialog zu erleichtern. Wir haben in offener Weise auch schwierige Themen wie die Nuklearfrage diskutiert: ich drückte unsere grosse Besorgnis aus, und sie haben mir erklärt, dass sie, in Anbetracht des Endes von Libyen sich von der Notwendigkeit eines Abschreckungsmittels überzeugt hatten, zumindest solange die USA ihre Truppen und ihre Sprengköpfe nicht aus Südkorea zurückziehen. Vergessen wir nicht, dass sich Nordkorea offiziell noch im Kriegszustand befindet, und dass es das Land schon einmal am Boden zerstört gesehen hat. Ein solches Gemetzel kann man nicht einfach vergessen! “
Warum diese Reise? Nordkorea will sich für die Zusammenarbeit mit der Schweiz öffnen. Was im Besonderen?
“ Im Jahre 2014 war eine erste Gruppe von jungen Aktivisten unserer Partei in Nordkorea gewesen: das war ein Besuch, um das Land kennen zu lernen, dem in diesem Jahr eine Spitzen-Delegation gefolgt ist, um die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern konkret zu erkunden. Zu diesem Zweck begab ich mich persönlich vor Ort und traf Delegationen von zahlreichen Ministerien und Unternehmen. Sosehr ihre Wirtschaft kollektiv und planwirtschaftlich bleibt, haben uns gebeten, ihre Anstrengungen zur Bildung von Joint Ventures mit Schweizer Unternehmen zu unterstützen. Auch auf der kulturellen Ebene sind sie offener als mancher denken mag: wir haben über den Austausch von Filmen zwischen Festivals des jeweiligen Landes gesprochen, aber auch über die Prüfung eines Austauschsprogramms für Studenten und Professoren. “
Was hat Sie am meisten von Ihrem Besuch in Nordkorea beeindruckt?
“ Sicher der Gedanke, dass das Land unter Embargo und in einem permanenten Zustand der Mobilisierung ist, und die Tatsache, dass es imstande ist, eine ganze Reihe von sozialen Rechten für die Menschen gratis sicherzustellen. Aber ich denke, was am meisten ins Auge sticht, ist die nationale Einheit und ein Gefühl der Zugehörigkeit: alle Komponenten der Gesellschaft sind organisiert, um, jeder auf seine eigene Art und Weise, ein Ziel zu erreichen, das für die Gemeinschaft für strategisch erachtet wird. Der Kongress der Partei der Arbeit hat beschlossen, das technologische Niveau des Landes zu heben; und so wird im Bereich der Bauten ein ganzes neues Quartier für Wissenschaftler erstellt; im Bildungsbereich werden Mittel für die Popularisierung der Wissenschaft in der Bevölkerung investiert; auf gewerkschaftlicher Ebene fördert man Informatik-Lektionen in den Unternehmen, welche den Arbeitern zu ermöglichen, Online-Studiengängen zu folgen, usw. “
Was würden Sie einem Tessiner, der sich für eine Reise dorthin interessiert, für ein Vorgehen raten, und was empfehlen sie ihm zu besuchen?
“ Das war eines der Themen der Diskussion mit dem koreanischen Tourismus-Ministerium, auch weil sie in die touristische Infrastruktur investieren wollen, und im letzten Jahr den neuen Flughafen eröffnet haben. Unerwünscht ist jedoch ein Massentourismus von konsumistischer Prägung ohne Respekt für die Traditionen. Wir müssen mit ihnen Paketlösungen für Schweizer Touristen diskutieren. Einen Besuch empfehlen würde ich auf jeden Fall an den Gräbern der Könige von Koryo und bei den dazugehörigen Museen in der Stadt Kaesong, einem UNESCO-Weltkulturerbe. Aber auch eine Fahrradtour zum Geniessen der unberührten Natur, die Nordkorea bietet, könnte ein Ziel für einen nachhaltigen Tourismus sein. “
Haben Sie nach Laos und Nordkorea ähnliche Reisen auf dem Programm?
“ Ich kann vorwegnehmen, dass wir auch auf die Sozialistische Republik Vietnam hin arbeiten. Wir wollen verschiedene Länder mit politischen Absichten zur Zusammenarbeit besuchen. Dies zu tun nimmt nicht nur zur Vorbereitung Zeit in Anspruch, sondern auch, weil man die Protokolle zu respektieren hat, die zwischen den kommunistischen Parteien existieren. “
Original (italienisch): La Corea del Nord guarda alla Svizzera con interesse (ticinonews.ch, 5. Oktober 2016)
Siehe auch:
- Kommunistische Partei bereist Laos, Korea und China und befestigt Zusammenarbeit mit den sozialistischen Ländern
- Delegation der Kommunistischen Partei (Schweiz) in der Demokratischen Volksrepublik Korea
- Dokumente der Kommunistischen Partei der Italienischen Schweiz
- Länderdossier Korea
- Dossier Geopolitik und Geoökonomie