Antwort der KP Schweiz an die Redaktion des «Vorwärts» zu zwei konkreten Fragen bezüglich Syrien und der Türkei
Diesen Sommer 2017 verbreiteten mehrere anarchistische ( siehe ) und trotzkistische ( siehe ) Publikationen unseres Landes, aber auch der von der Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) herausgegebene «Vorwärts» einen wahrhaft schändlichen Artikel aus der Feder eines Herrn Siede, welcher sich erdreistet, die Schweizer Kommunisten als Personen ohne “revolutionäre Moral” hinzustellen.
Auf Nachfrage von Seiten des «Vorwärts»-Redaktion hat der Politische Sekretär der Kommunistischen Partei Massimiliano Ay (“Max”), ohne dabei näher auf den unsäglichen Artikel einzugehen, zu zwei konkreten Fragen Stellung genommen. Wir dokumentieren nachstehend sein Antwortschreiben an den «Vorwärts»-Redaktor Tarek Idri:
Lieber Tarek,
Es handelt sich um einen schändlichen Artikel: voll von Ungenauigkeiten, Beleidigungen, aufwieglerischen Interpretationen. Ich bin erstaunt, dass eine von der Partei der Arbeit der Schweiz herausgegebene Zeitung Herrn Siede Raum gewährt, der heute aktiv den pro-europeistischen Fraktionismus innerhalb der DKP unterstützt, der die sozialistischen Länder wie Korea angreift und der heute die syrischen Kommunisten im Krieg gegen den Imperialismus beleidigt.
Der fragliche Artikel diffamiert uns in unschicklicher Weise als Personen ohne “revolutionäre Moral”. Mit dem Finger auf andersdenkende Genossen zu zeigen und diese als angebliche Faschisten hinzustellen, ist gelinde gesagt kindlich, und ich glaube nicht, dass man mit solchen Provokationen der Einheit der Kommunisten in unserem Lande dient. Natürlich hat der Herausgeber des Vorwärts entschieden, die Verantwortung für das dort Publizierte zu tragen.
Die Leitung der KP wird nicht näher auf den Artikel des Herrn Siede eintreten: jeden böswilligen Schwachsinn zu widerlegen würde heissen, zu viele Ressourcen (die wir nicht haben) zu investieren und würde weit mehr als 3500 Zeichen Umfang erfordern. Die Parteileitung hat hingegen beschlossen, auf Deine beiden präzisen Fragen im Sinne eines kurzen Interviews zu antworten und bittet höflich darum, dass diese Fragen im Text übernommen werden.
Frage 1: Was ist die Position des Partito Comunista gegenüber der kurdischen Bewegung? Wie steht ihr zum Selbstbestimmungsrecht der Kurden?
Vorausgeschickt, dass der von Euch übernommene Artikel ungenau ist und die Verleumdung unserer Partei bezweckt, während die schweizerische Linke vielmehr Einheit und Respekt brauchen würde, möchten wir sogleich klarstellen, dass wir dem kurdischen Volk nahe stehen: einer unserer Delegierten war kürzlich in Diyarbakir und hat sich mit kurdischen Bauern, Gewerkschaftern und Händlern getroffen, welche der brudermörderischen Gewalttätigkeiten müde sind und die durch die antikoloniale Revolution von 1923 von ihnen gemeinsam mit den Türken errichtete Einheitsrepublik verbessern wollen. Wie die Kommunistische Partei der Türkei (TKP) sagt, muss man das Volk ohne ethnischen Unterscheidungen einigen, um der Klassenausbeutung zu begegnen. Wir verteidigen die sozialen Rechte aller Volksgruppen: Türken, Kurden, aber auch Lazen, Tscherkessen usw., und wir glauben, dass die Anstrengungen für eine Agrarreform in den Regionen des Südostens der Türkei zu unterstützen sind, um den dort verbliebenen tribalen und feudalen Elementen entgegenzuwirken. Das Recht auf Selbstbestimmung ist ein komplexes Thema: gemäss unserer Partei ist es ein Konzept, das nach der Methode des dialektischen Materialismus auszulegen ist. Domenico Losurdo schrieb, dass “die Selbstbestimmung … die Fortsetzung der imperialen Politik mit anderen Mitteln” ist, und Samir Amin negierte in den (von der belgischen PvdA herausgegeben) “Etudes Marxistes” den “universalen” Charakter eines solchen Rechtes, und macht dieses von den historischen Variablen jedes Landes abhängig. Ammar Bagdache, Sekretär der Syrischen Kommunistischen Partei und Unterstützer der territorialen Integrität der Syrischen Arabischen Republik, erklärte uns bei einem Treffen im Jahre 2011 die Risiken der Prozesse der “Balkanisierung” des Mittleren Ostens: die USA instrumentalisieren in der Tat einige ethnische Gruppen, um die Nationalstaaten zu schwächen und die eigene Vorherrschaft durchzusetzen.
Frage 2: Was ist eure Beziehung zur Vatan Partisi? Wieso seid ihr solidarisch mit dieser türkisch-nationalistischen Partei?
Unsere internationalen Beziehungen sind verschiedenartig: es gibt solche, die uns ideologisch verbinden, und andere mit nicht kommunistischen Parteien, die dennoch in ihrer nationalen Realität in kohärenter Weise gegen den Imperialismus tätig sind. Wir sind keine Sektierer: wir pflegen Kontakte mit von uns unterschiedlichen Organisationen. Dieses Jahr hatten wir ein Kolloquium mit den Schiiten der libanesischen Hezbollah, im 2009 solidarisierten wir uns mit der ex-Liberalen Partei von Honduras unter Manuel Zelaya, der durch einen antibolivarischen Putsch gestürzt wurde. In Bezug auf die Türkei gelten dieselben Kriterien: vor einigen Jahren besuchte uns in Lugano ein Vertreter der Sozialistischen Arbeiterpartei (TSIP); in Istanbul trafen wir einen Abgeordneten der sozialdemokratischen CHP, etc. Was unsere Kontakte mit VATAN anbelangt, können wir sagen, dass uns diese Partei nicht als “nationalistisch” im chauvinistischen (oder gar “faschistischen”) Sinne des Wortes vorkommt: es ist eine Massenpartei, die sich ausdrücklich auf den wissenschaftlichen Sozialismus bezieht und die in der Optik der nationalen Unabhängigkeit daran ist, eine einheitliche antiimperialistische Front aufzubauen, welche auf den 6 Säulen des Kemalismus beruht. Anders als wir kommt sie aus der maoistischen Tradition; sie war in den Kämpfen von Gezi Park aktiv und ihre Führer haben lange Jahre in Erdogans Kerkern zugebracht. Ihr gehören historische Figuren der türkischen und kurdischen Arbeiterbewegung an, wie Mehmet Gültekin (Autor eines Buches gegen den Nationalkommunismus von Sultangaliew); der ex-Abgeordnete der deutschen ‘Die LINKE’ Hakki Keskin, der marxistische Gewerkschafter Yildirim Koç. Diese Partei teilt mit uns die Idee des Multipolarismus; sie begab sich nach Damaskus, um sich auf höchster Ebene für den Frieden mit Ankara einzusetzen, und verfügt über ausgezeichnete Verbindungen mit China und mit dem Projekt einer “Neuen Seidenstrasse”: aus diesem Grund ist sie für uns interessant! Unsere Partei glaubt in der Tat nicht nur an die friedliche Zusammenarbeit unter souveränen Nationen, sondern hält es auch für notwendig, dass die Schweiz sich den asiatischen Schwellenländern öffnen muss,um unsere eigene Wirtschaft zu diversifizieren und uns unabhängiger vom atlantischen Markt zu machen. Dies ist die Strategie, wie sie aus unserem 23. Parteitag hervorgeht, an welchem im November in Lugano rund hundert Personen teilgenommen haben.
Danke, kommunistische Grüsse
Max