Gerhard Oberkofler: Freiheit der Wissenschaft
An der Universität Innsbruck hat Claudia von Werlhof im Zusammenhang mit dem katastrophalen Erdbeben in Haiti, das der US-Imperialismus aus seinem geopolitischen Interesse zur Besetzung dieser Insel nützte, eine Position öffentlich vertreten, die mit dem in Österreich vorherrschenden politikwissenschaftlichen mainstream nicht kompatibel ist. Der als Vorstand des Instituts für Politikwissenschaft in Innsbruck amtierende Ferdinand Karlhofer, in Tirol durch seine quasi als Wissenschaft angebotenen Pastoralkommentare in der Tiroler Tageszeitung bekannt, erklärte, Frau von Werlhof habe dem Ansehen seines Instituts geschadet. SchlieÖlich war dessen Gründer der berühmte Anton Pelinka, der jetzt als Klassenlehrer an einer vom US-Finanzspekulanten George Soros finanzierten Hochschule in Budapest tätig ist. Der Rektor der Innsbrucker Universität, Karlheinz Töchterle, hat in einem für Innsbrucker Verhältnisse sehr mutigen Brief vom 14. April 2010 die Freiheit der Wissenschaft eingefordert:
[…] in den vergangenen Wochen und Monaten hat ein Interview der Innsbrucker Politikwissenschaftlerin Claudia von Werlhof in der Tageszeitung “Der Standard” am 13. Februar 2010 zu heftigen Diskussionen in verschiedenen (Internet-)Medien geführt. Frau Kollegin Werlhof hat sich in diesem Interview mit dem Phänomen des “Kapitalismus” auseinander gesetzt und dabei die Zerstörung als wesentliche Triebfeder dieses Systems identifiziert. Dieser Erklärungsansatz baut dabei nicht zuletzt auf den Thesen des österreichischen Ökonomen und Theoretikers Joseph Schumpeter auf, der die “schöpferische Zerstörung” als das Wesen des Kapitalismus postuliert hatte und sie als letztlich positive Kraft verstand, die, vereinfacht gesagt, dazu führt, Rahmenbedingungen zu hinterfragen, überkommene Vorstellungen beiseite zu schieben und daraus Neues zu entwickeln.
Anders als Schumpeter betonte Kollegin Werlhof jedoch, ebenfalls vereinfacht gesagt, dass diese “Zerstörung” letztlich kontraproduktiv sei und dazu führe, die Rahmenbedingungen permanent zu verschärfen. Als einen Beleg für diese Möglichkeit der negativen Zerstörung verwendete Kollegin Werlhof dabei das HAARP-Projekt, das, in den USA entwickelt, es unter anderem ermöglichen solle, Klima zu beeinflussen und auch künstliche Erdbeben zu erzeugen.
An diesem Satz, der dann immer wieder nur verkürzt wiedergegeben wurde, entzündete sich die oben erwähnte Diskussion, da nun behauptet wurde, Frau Kollegin Werlhof hätte den USA vorgeworfen, das verheerende Erdbeben in Haiti künstlich evoziert zu haben, um daraus politischen und wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen. Dies entspricht jedoch nicht der Wahrheit, denn Frau Werlhof hatte lediglich ausgeführt, dass es Technologien gibt, die in der Lage sein könnten, die Natur entsprechend zu beeinflussen.
Es gibt dazu durchaus eine internationale (wissenschaftliche) Diskussion, sowohl über das Projekt HAARP als auch andere entsprechende Projekte und deren mögliche Auswirkungen.
Ich komme nun aber zu dem für mich als Wissenschaftler und Rektor der Universität Innsbruck wesentlichen Punkt: Man kann über die Öusserungen und Einschätzungen von Kollegin Werlhof geteilter Meinung sein. Letztlich ist es aber so, dass in Österreich wie in demokratischen Gesellschaften weltweit Meinungsfreiheit und die Freiheit von Wissenschaft und Forschung eine wesentliche Voraussetzung unseres Zusammenlebens sind. Dies ist sowohl im Staatsgrundgesetz (Art. 17 StGG) als auch im Universitätsgesetz 2002 (§2 Abs.1, UG 2002) eindeutig garantiert.
Dass die provokanten Thesen von Frau Werlhof nicht unwidersprochen bleiben konnten, war klar und wahrscheinlich auch gewünscht. So entsteht eine Diskussion, die angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung durchaus sinnvoll sein könnte. Gerade die Frage, in wieweit der Kapitalismus die Zerstörung braucht, um Neues entstehen zu lassen, und wie weit das gehen soll und darf bzw. dies positiv oder negativ ist, ist doch sehr spannend. In diesem Zusammenhang wird es bessere und schlechtere Argumente sowie realistischere und unrealistischere Szenarien geben. Das zu beurteilen liegt letztlich doch auch immer im Auge der Betrachterin und des Betrachters. Und hier sind wir dann wieder bei der Meinungsfreiheit.
Völlig indiskutabel in diesem Zusammenhang ist für mich jedoch, wenn Frau Kollegin Werlhof direkt oder indirekt als krank oder verrückt bezeichnet und daraus abgeleitet sogar ihre Entlassung gefordert wird. Hier werden und wurden eindeutig Grenzen überschritten und das ist für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer freien Gesellschaft nicht tolerierbar. Frau Prof. Werlhof hat ihren Denkansatz in eine wichtige Diskussion eingebracht, das ist ihr Recht und das schadet der Universität Innsbruck nicht. Sie hat eine Diskussion entfacht, der sie sich nun auch stellen muss. Sie muss das jedoch nur in einem gesellschaftlich vertretbaren Rahmen von Argument und Gegenargument tun. Diffamierungen und persönliche Angriffe haben hier nichts verloren.
Mit freundlichen GrüÖen
o. Univ.-Prof. Dr. Karlheinz Töchterle
R e k t o r
Quelle: kominform.at (16.04.2010)
- Länderdossier: Österreich
- Beiträge zur Wissenschafts- und Forschungspolitik im Dossier Schule und Bildung