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Portugal: Wirtschaftsminister Pinho zeigt Hörner und wird auf Druck der PCP gefeuert

Mitten in laufender Parlamentsdebatte zur Lage der Nation provozierte Wirtschaftsminister Manuel Pinho seine sofortige Entlassung durch Premierminister Sócrates. Das portugiesische Parlament und das Volk wurden Zeugen des Geschehens und konnten die Heranreifung des Beschlusses zur Entlassung eines Schlüsselministers mehr oder weniger live mitverfolgen.

Die Lage der Nation

Im Rahmen der Debatte zur Lage der Nation hatten kommunistische Redner die Regierung Sócrates für die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Landes verantwortlich gemacht und griffen namentlich die Wirtschaftspolitik und Lohnpolitik der Regierung an. Die zu Ende gehende war eine “verlorenen Legislaturperiode”, wie sich PCP-Generalsekretär Jerônimo de Sousa in seiner Intervention ausdrückte. Das Land entwickelte sich zurück und wurde immer stärker vom Ausland abhängig gemacht. Seit dem Amtsantritt der SP-Regierung haben sich die Lebensbedingungen für grosse Bevölkerungsteile brutal verschlechtert. Viele soziale Einrichtungen, die seinerzeit auch mithilfe der SP eingeführt wurden, wurden unter dieser Regierung verwüstet. Die Korruption und die Finanzkriminalität breiten sich aus und werden von der Regierung nicht ernsthaft bekämpft. Beklagenswerte Zustände herrschen unter anderem in der Justiz, wo Arbeiter jahrelang auf Urteile über rückständige Löhne warten müssen. Die reale Wirtschaft und die Mikro-, Klein- und Mittelbetriebe werden stranguliert. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 20%. Öffentliche Schule und Gesundheitsversorgung waren den grössten Angriffen von Regierungsseite ausgesetzt. In den Vordergrund seiner Anklagen gegen die Regierung stellte Genosse Jerônimo de Sousa die massiven Kaufkraftverluste der portugiesischen Löhne und Alterspensionen. Der Kaufkraftschwund war grösser als in den meisten EU-Länder. In der gleichen Zeit konnten die fünf grössten Kapitalgruppen des Finanzsektors in Portugal sagenhafte Gewinne einstreichen.

Nach einer ersten Intervention der Regierungsbank bat der PCP-Generalsekretär erneut um das Wort, um eine Interpellation zu unterbreiten. Der Vorsitzende wies ihn vorgängig der Worterteilung darauf hin, dass diese Form des Parlamentsvorstosses nach dem einschlägigen Geschäftsverkehrsgesetz an sehr enge Voraussetzungen gebunden ist. Worauf dann der Führer der portugiesischen KP die Regierung zur Frage interpellierte, ob technisch alles sichergestellt sei, damit die Mikrophone, Leitungen und Wiedergabegeräte im Hause auch wirklich gut funktionierten. Denn er musste feststellen, dass er eine Reihe Fragen zu den Löhnen gestellt hatte, während keine der Antworten der Regierung auf dieses Thema und seine Hintergründe näher einging, so dass diese Reden überhaupt nicht im Verhältnis von Fragen und Antworten zueinander standen.

Hörner im Parlamentssaal

Während einer weiteren Intervention von Premier Sócrates störte und belästigte dessen Minister Pinho den Parlamentsbetrieb mit Beleidigungen in Richtung des kommunistischen Fraktionsvorsitzenden Bernardino Soares. Dabei legte Minister Pinho seine Finger an die Stirne, um dem politischen Gegner Hörner zu zeigen und rief diesem zu: “tu estás tramado”1, was objektiv ungefähr gleichviel heisst wie “du bist in einer erbärmlichen Lage” und nicht ganz so vulgär klingt wie: “du bist angeschmiert” oder “am Arsch”. Je nach Tonfall variiert allerdings die Bedeutung dieses Ausdrucks von der ehrlichen Anteilnahme über alle Schattierungen der Schadenfreude oder Verhöhnung bis zur Drohung: “Du bist erledigt”. Im bedrohlichen Tonfall, den Pinho gegenüber Soares anschlug, kann sein Wort durchaus mit dem Ausdruck “Ich mache dich fertig!” übersetzt werden. Auch in Portugal bleibt die Deutung uneinheitlich. Viele Kommentatoren legen Pinhos Worte in Verbindung mit der Geste direkt als gewollte Anspielung auf einen angeblichen Ehebruch aus: “Du bist ein Gehörnter”.

Der so oder so Beleidigte und Bedrohte begab sich jedenfalls unverzüglich zum Minister für Parlamentsbeziehungen, um seinen Protest gegen das rüpelhafte Benehmen des Wirtschaftsministers zu hinterlegen und regierungsseitige Entschuldigungen zu fordern. Dabei erinnerte Soares ganz offen daran, dass Pinho noch in einem Alter steht, in welchem ein Mann für die gefallenen Worte auch höchstpersönliche Konsequenzen zu ertragen hat. Diese Worte wurden allerseits als eine schöne Umschreibung für ein paar Schläge aufs freche Maul nach Feierabend angesehen, falls bis Sitzungsschluss keine gehörigen Entschuldigungen eintreffen sollten. Wie er darlegte, hat sich Minister Manuel Pinho schon mehrmals wie ein Flegel aufgeführt und respektlos gegenüber dem Parlament benommen. Soares hielt anschliessend auch gegenüber der Presse deutlich fest, dass er mit Pinho keinerlei vertrauten Umgang pflegt, der den anderen auch nur zu einem familiären Tonfall berechtigen würde.

Schlaflose Ministernächte und Demission am hellichten Tag

Inzwischen gab auch Minister Pinho Erklärungen an die Presse. Er stammelte auch Worte des Bereuens und der Entschuldigungs, sah sich aber durch die Affäre nicht weiter beschädigt, sondern in der Lage und willens, seine Ministergeschäfte weiterhin zu führen. Dabei rühmte er sich der schlaflosen Nächte, die er zugebracht habe, um Arbeitsplätze in den Minen von Aljustrel im Bezirk Baixo Alentejo zu retten, wo Schwefelkies (Pyrit) abgebaut wird. Aber bei Wiederaufnahme der Verhandlungen sah man die Minister herum telefonieren und bald trat Premier Sócrates ans Rednerpult, bat um Entschuldigung, bedaurte und verurteilte das Aufführen seines Ministers, das er unter anderem als “lästig” und als “nicht zu rechtfertigen” bezeichnete. Diese Worte liessen nur eine Interpretation als politisches Todesurteil zu, und tatsächlich gab der Premier kurz darauf dem Hause bekannt, dass er Pinho zum Rücktritt aufgefordert und dessen Rücktrittsgesuch mit sofortiger Wirkung gutgeheissen habe. Bis Ablauf der Legislaturperiode soll Finanzminister Teixeira dos Santos auch die Leitung des Wirtschaftsministeriums wahrnehmen. Sócrates.

Bernardino Soares erklärte sich von der formellen Entschuldigung des Premierministers befriedigt und kommentierte das Vorgefallene als Beweis für die Richtigkeit aller PCP-Kritiken gegenüber dem Wirtschaftsminister Pinho, dem nicht nur fachliche Inkompetenz, sondern auch mangelnde persönliche Integrität vorgeworfen wird. Zudem bedauerte Soares die von der Regierung mit diesem Vorfall provozierte Ablenkung der Aufmerksamkeit von den Inhalten der Debatte über die Lage der Nation. Soares bestritt nicht, dass der Minister schlaflose Nächte zugebracht haben mag, wohl aber dessen Behauptung, er hätte sich in den fraglichen Stunden mit der Rettung von Arbeitsplätzen in Aljustrel beschäftigt. Soares verwies im Zusammenhang darauf, dass die Erfolgsmeldungen des Ministers über seine Aktionen zur Arbeitsplatzrettung ebenso wie die offziellen Darstellungen betreffend den Ministerbesuch in Aljustrel der Reihe nach von den Minenarbeitern und ihrem Sportclub dementiert worden waren.

Die “Ehrenbezeugung” der Mineiros von Aljustrel

Pinho war gegen die Kommunisten besonders deswegen aufgebracht, weil er vor ihnen bei einem üblen Wahlkampfmanöver ertappt und blossgestellt wurde.

Der Wirtschaftsminister hatte anlässlich eines Besuches in Aljustrel im vergangenen Jahr die Sicherung von 800 gefährdeten Arbeitsplätzen in den dortigen Minen versprochen (heute bestehen noch gerade 132 von den versprochenen Arbeitsplätzen) und er bat bei der Gelegenheit den Sport Clube Mineiro um ein Fussball-Leibchen, welches seinen (Pinhos) Namen auf dem Rücken tragen sollte. Es fand sich aber leider kein einziges Leibchen vorrätig, so dass der Minister auf andere Gelegenheit bei einem beliebigen späteren Fussballspiel in Aljustrel vertröstet wurde.

Diese Zusage wollte Pinho nun dieses Jahr im Rahmen seines Wahlkampfes eingelöst haben. Er hatte vor, dem Fussballclub der Minenarbeiter einen Scheck im Wert von 5000 Euro zu überreichen, welcher von einer portugiesischen Privatfirma namens EDP finanziert war. Das Kabinett des Ministers hatte seinen dazu vorgesehen Besuch in den Süden durch ein Communiqué öffentlich angekündigt und die Sache so dargestellt, dass seine Exzellenz geruhe, sich zu einem Fussballspiel nach Aljustrel zu begeben, um dort von den für seinen Einsatz zur Erhaltung ihrer Arbeitsplätze dankbaren Arbeitern eine Ehrenbezeugung (“homenagem”) entgegen zu nehmen.

Als man sich dann in Aljustrel über das auch dort verbreitete Communiqué aus Lissabon wunderte, und fragte, wie es denn sein könne, dass ein Herr Minister mit Geschenken von einer Privatfirma im Sack daherkommen wolle, und als sich die Sportler bereit erklärten, das begehrte Leibchen an den Portalen des Ministeriums zu hinterbringen, um dem Minister die Reise zu ersparen, änderte das Ministerium schleunigst seine Texte, und der reisefreudige Minister tauchte nun plötzlich explizit als ausseramtlich reisender “Bürger Pinho” (cidadão) auf.

Daraufhin reagierte die Kommunistische Partei mit einer parlamentarischen Befragung, in welcher Pinho nach bester polemischer Kunst vorgeführt wird, und zwar praktisch zu jedem aufgeführten Punkt fein säuberlich gesondert, je einmal als Minister und einmal als Bürger. Die Interventionen der PCP gipfeln in der Feststellung, dass auch gemäss den publizierten Distanzierungen des Vorstands des Fussballclubs der Mineiros in Aljustrel weit und breit niemand je das Bedürfnis verspürt hat oder der Absicht näher getreten ist, diesem Besucher irgendwelche Ehren für den angeblichen Einsatz um Arbeitsplätze zu bezeugen, – egal ob dieser seinen Dienst im Interesse von Privatfirmen in Ministertarnung oder als Citoyen getarnt zu verrichten gedenke. Ebenso wie der Sportclub, der sich ausdrücklich gegen die Instrumentalisierungsversuche von Seiten des Ministers verwahrt, und der sich übrigens fussballerisch unter den Besten der stärksten Amateurklasse (“Segunda Divisão”) behauptet, erfreut sich auch die Portugiesische Kommunistische Partei (PCP) in Aljustrel, wo die Landproletarier das ABC des Kommunismus mit der Muttermilch eingesogen haben, grösster Beliebtheit.

Die Kommunisten erhielten hier in den EU-Wahlen im Juni 2009 rund 51% sämtlicher abgegebenen Wählerstimmen, einschliesslich der leeren und ungültigen.2 Die Sozialisten folgen mit grossem Abstand auf Platz zwei mit knapp 22%; der Linksblock belegt mit 9% den dritten Rang, während sich die beiden offen bürgerlichen Parteien PPD-PSD und CDS-PP mit zusammen 8% begnügen müssen, womit sie nicht viel mehr auf sich vereinigen als die Summe der leeren und ungültigen Stimmzettel.

Der Fraktionsvorsitzende der PCP, Bernardino Soares, war es auch, der die staatsrechtlich eigenartige wie finanziell dunkle Geschichte mit den Privatschecks in Ministerhänden im Parlament zur Sprache brachte und als plumpes Wahlkampfmanöver demaskierte. Dass der Schuss mit der geplanten “Hommage” nach hinten los gegangen ist, hat Pinho schwer irritiert und machte dann Soares zur Zielscheibe seiner gehässigen Angriffe. Der beleidigte Soares sieht diese Geschichte jedenfalls als unmittelbaren Anlass für Pinhos diesmaliges Fehlverhalten, dessen tiefere Ursachen er in einer antidemokratischen Grundhaltung des Ministers ortet. Auch Pinho selbst hat inzwischen bestätigt, dass er sich auch “beleidigt” gefühlt habe, weil seine “Bemühungen” zur Rettung der Minen in Aljustrel nicht anerkannt würden.

Wahlen vor der Tür

Der unerhörte Vorgang, dass ein Minister Posturen einnimmt, die ihn auch im eigenen Regierungslager als so unerträglich erscheinen lassen, dass er erstens séance tenante und zweitens auch noch mit Worten von Schimpf und Schande aus dem Munde des Premiers verjagt werden muss, wird im ganzen Land als Zeichen der Desorientierung und der wachsenden Nervosität im Lager der regierenden Sozialisten gedeutet. Was dem oberflächlichen Beobachter als zupackendes Handeln von Premier José Sócrates erscheinen mag, erweist sich bei seiner näherer Einbeziehung der gegebenen Umstände als ein purer Akt seiner grossen Verzweiflung.

Die Sozialisten haben an den Europawahlen im Juni eine schwere Niederlage eingesteckt und müssen sich im September den nationalen Parlamentswahlen stellen. Sie werden diese aller Voraussicht nach verlieren und müssen auch in den Kommunalwahlen dieses Herbstes mit dem Verlust vieler Ratshäuser rechnen.

Der Fall Pinho ist auch nicht der einzige peinliche Missgriff von Sócrates bei der Besetzung von Ministerposten. Die Erziehungsministerin Maria de Lurdes Rodrigues kämpft auf immer isolierterem Posten gegen die geschlossene Lehrerschaft und grosse Teile der Schülerschaft. Verteidigungsminister Nuno Severiano Teixeira stösst auf wachsende Opposition der Seiten der Sergeanten- und Offiziersverbände, die um ihre sozialen und demokratischen Rechte kämpfen, und bekannte Generale gehören zu den prominentesten Kritikern der Kriegseinsätze im Dienste des Imperialismus. Die Gesundheitsministerin steht im Dauerfeuer der Kritik, und ihren Kollegen vom Landwirtschafts- und Fischereiministerium, dem Transportminister, dem Arbeitsminister und dem Energieminister geht es kaum besser. Sie alle vereinigen den Protest nicht nur der Arbeiterklasse, sondern weit darüber gehender Volksteile und ausserdem die Kritik der Mehrheit der Fachleute aller Sektoren auf sich. Sócrates selbst ist es nicht gelungen, die Gerüchte aus der Welt zu schaffen, nach denen er auf unlautere Weise zu akademischen Würden gekommen sein soll.

Die KP charakterisiert die gegenwärtige Regierungspolitik als Fortsetzung, Beschleunigung, Intensivierung, Brutalisierung usw. der seit 1976 abwechslungsweise von PS, PSD und CDS geführten, arbeiterfeindlichen, den Interessen der Nation abträglichen und unter mehreren Titeln verfassungsbrecherischen Politik nach rechts. Die Regierung Sócrates gilt als die schlimmste überhaupt seit dem Sturz des Faschismus 1974.

(mh/04.07.2009)

 

Fussnoten:

1 Das port. Verb «tramar» bedeutet ursprünglich: als Faden einschlagen, vgl. Latein: trama=Einschlag oder das schweizerische Dialektwort «Trom» für den Hauptfaden bzw. Schussfaden beim Weben. Dazu gesellen sich zahlreiche Nebenbedeutungen wie etwa: sich verschwören, eine Sache einfädeln. Auf Menschen angewendet bedeutet die Form des passiven Partizips («tramado») zunächst: (gleich wie ein Faden) durch die Klettfäden gezogen, als Garn eingewirkt. Daraus hat sich der heutige familiäre Gebrauch in verschiedene Bedeutungsrichtungen aufgefächert: reingelegt, geprellt, beraubt, in die Enge getrieben, bejammernswert usw.

Videos zur proletarischen Kultur-und-Sport-Bewegung in Aljustrel: