Lawrow: Russland bereit zu enger Zusammenarbeit mit der Türkei bei Bekämpfung des Terrorismus
«Russland drückt den Verwandten der Todesopfer infolge des provokatorischen Terroranschlags am 10. Oktober in Ankara sein aufrichtiges Beileid aus und ist zum engsten Zusammenwirken mit den Behörden der Türkei im Kampf gegen die Terrorbedrohung bereit. Die Bemühungen im Widerstand gegen dieses globale Übel müssen gebündelt werden.»
Dies erklärte der russische Aussenminister Sergej Lawrow in seinem Grusswort vom 15. Oktober an die Teilnehmer der internationalen Konferenz ‘Russland und Türkei: Festigung der multidimensionalen Partnerschaft’ . Organisiert hatte dieses Treffen von Vertretern von Behörden, Wissenschaften, Medien, Wirtschaft und Zivilgesellschaft der Russische Rat für internationale Angelegenheiten in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für strategische Forschungen des Aussenministeriums der Türkei aus Anlass des Jahrestages der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen vor 95 Jahren. Die junge Sowjetmacht unterstützte damals den von Mustafa Kemal (“Atatürk”) angeführten nationalen Befreiungskampf gegen die imperialistischen Überfälle und war 1920 der erste Staat, welcher die türkische Republik anerkannte.
Es sei «kein Geheimnis, dass Moskau und Ankara bei einigen Fragen der internationalen Tagesordnung verschiedene Ansichten haben, und in einigen Fällen sind sie konträr», sagte Lawrow. Eine Annäherung in der Herangehensweise sei «nur dann möglich, wenn ein offener Meinungsaustausch, eine begründete Suche nach Berührungspunkten stattfinden». Lawrow gab seiner Überzeugung Ausdruck, dass diese Konferenz mit informellem Charakter ein geeignetes Diskussionsformat biete, um Ideen und praktische Vorschläge im Interesse des Ausbaus der bilateralen Beziehungen zu generieren.
Soweit die Meldung des Aussenministeriums der Russischen Föderation (mid.ru, 15.10.2015)
Damit signalisiert Moskau seinen Willen, den internationalen Bund gegen den Terrorismus, dem ausser Syrien auch Irak, Iran, Irak und die libanesische Hisbollah angehören, weiter auszubauen. Dabei dürften die Türkei und Ägypten die wichtigsten Ansprechpartner in der Region sein. Eine grosse Schwierigkeit liegt in Ankara: Wie es scheint, hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan zwar seine frühere Politik der Unterstützung des islamischen Terrorismus revidiert und auch den Fehler eingesehen, der in seiner gröblichen Vernachlässigung der Terrorgefahren im eigenen Land bestand. Aus Militär- und Polizeikreisen wird ihm sogar der Vorwurf gemacht, die Sicherheitskräfte bei der Bekämpfung der terroristischen PKK gezielt behindert zu haben. Aber Erdogan ist offenbar schwer von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass er zwei Ziele seiner Syrienpolitik aufgeben muss: Erstens das Ziel des Sturzes von Präsident Baschar Al Assad , weil Moskau weist jede solche Einmischung zurückweist und mehrfach klargestellt hat, dass die Entscheidung darüber allein bei Syrien liegt. Zweitens das Ziel einer türkisch besetzten Zone in Nordsyrien. Dieses Ziel schien in Griffnähe, nachdem sich Ankara mit Washington verständigt hatte: die USA erhielten Zugang zur Luftwaffenbasis Incirlik in der Südosttürkei, von wo aus ihre Flugzeuge eine Flugverbotszone auf syrischem Territorium durchsetzen könnten.
Nun hat der Eingriff Russlands Erdogan und den USA einen Strich durch die Rechnung gemacht. Militärisch ist der Fall damit entschieden, und politisch bricht Erdogan das Gebäude seiner Argumente für die Besetzung Nordsyriens zusammen. Es handelt sich hauptsächlich um Argumente oder Vorwände, die sich aus der Schwäche Syriens ableiten, also aus einer Tatsache, die von der türkischen Führung (im Verein mit anderen) absichtlich herbeigeführt worden ist. Da ist einmal die Drohung eines “Kurdischen Korridors” bis an die Mittelmeerküste, der die Verbindung der Türkei mit Syrien und Irak zerschneiden würde; diese Drohung wird mit dem Siegeszug der syrischen Regierungstruppen und den Erfolgen der russischen Flugwaffe gebändigt. Und da ist die “Schutzbedürftigkeit” der türkisch- und kurdischstämmigen Syrier; aber weder sie noch sonst eine der zahlreichen ethnischen oder religiösen Gruppen werden des Schutzes von Seiten der Türkei bedürfen, sobald der Norden des Landes wieder unter Kontrolle der Regierungstruppen von Damaskus ist. Zur “humanitären” Begründung der beabsichtigten Besetzung eines Gürtels entlang der türkischen Grenze wurde ebenfalls angeführt, in der besetzten Zone wolle man Zentren errichten, um syrischen Flüchtlingen einen Zufluchtsort im eigenen Land anzubieten oder sie dorthin zu repatriieren.
Es ist zu hoffen, dass die türkische Staatsführung unter dem Druck der patriotischen Kräfte zur Einsicht gebracht wird, dass sie mit Fortsetzung ihrer bisherigen Syrienpolitik keine nationalen Interessen verfolgt noch durchsetzen kann, sondern nur die Interessen des imperialistischen Blocks. Die Aggressionen gegen Syrien, die Erdogan’sche Politik der Förderung des Terrorismus und Schürung von ethnischen und religiösen Konflikten im Nachbarland, hat sich schon heute als Bumerang erwiesen, der auf die Türkei zurückfällt, wie das Blutbad von Ankara zeigt – welches von kritischen Kreisen in der Türkei als blutige Warnung aus den USA gewertet wird. In den imperialistischen Zentren rechnet man damit, dass die Türkei, aufgrund ihrer objektiven Lage und Entwicklungstendenzen, über kurz oder lang aus dem atlantischen Lager ausbrechen wird. Um sich dagegen zu wappnen, wird schon heute investiert: durch Waffenlieferungen an islamistische und separatistische Gruppen wie die PKK und ihre Zweige, und durch eine internationale Medienkampagne gegen die in Erdogan personifizierte Türkei. Das Land muss sich auf Destabilisierungs-Versuche von Seiten seiner NATO-Partner gefasst machen.
Das Interesse der Türkei an einer Annäherung an Russland ist unbestritten und manifestiert sich eindringlich in allen Energiefragen (Versorgung, Kraftwerkbau, strategische Pipelines), aber auch im Handel und in vielen anderen Bereichen. Das gemeinsame “Turkish Stream”-Projekt, das Washington eifrig zu hintertreiben versucht, liegt im Moment auf Eis. Erst nach den Wahlen vom 1. November wird weiter verhandelt. Die Dringlichkeit einer Verständigung mit Syrien wird auch in der Türkei selbst geltend gemacht. Besonders aktive Bemühungen in dieser Richtung unternimmt die Patriotische Partei (Vatan Partisi). Sie hatte bereits anfangs Jahr eine Delegation unter Leitung ihres Parteivorsitzenden Dogu Perinçek nach Damaskus geschickt, wo diese von Assad empfangen wurde. Der Partei von Perinçek, die einen konsequent anti-imperialistischen Kurs hält und überdies im sicherheitspolitischen Bereich über qualifiziertes Personal verfügt, ist auch bei der Vermittlung zwischen Ankara und Damaskus eine Rolle zuzutrauen.
(18.10.2015/mh)