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Fidel Castro und die Hassliebe von gewissen Linken

sinistra.ch – In den vergangenen Tagen haben Leben und Verdienste eines Kommunisten eine breite internationale Würdigung gefunden. Unter denen, welche am Schmerz des kubanischen Volkes und der Völker Lateinamerikas und Afrikas Anteil nehmen, die den Revolutionär und den beispielgebenden Internationalisten beweinen, finden wir auch Personen aus verschiedenen politischen Lagern, die dem Kommunismus fern stehen, aber dennoch das Beispiel von Fidel Castro Ruz zu schätzen wissen. In der Schweiz hat der wenige Stunden nach Eintritt des Todes von Fidel eröffnete Parteitag der Kommunistischen Partei, die bereits aus erster offizieller Hand darüber benachrichtigt worden war, indem er dem Gedenken an den Comandante en Jefe gebührende Ehre erwies, gewiss auch eine Anerkennung ausgedrückt, die von weiten Bevölkerungskreisen unseres Landes geteilt wird.

Einige politische Kräfte werden allerdings nicht zögern, sich mit einem nach ihren Absichten zurechtgestutzten “design” eines Fidel zu beschäftigen, der sich bequem in ihre Narrative einbauen und offiziell anerkennen liesse. Es handelt sich um ein altbekanntes Phänomen: es fehlt nicht an Usurpatoren, welche versuchen, die Geschichte und die Erinnerung an grosse Führer der Arbeiterbewegung zu vereinnahmen. Nicht nur wird Antonio Gramsci als anti-sowjetisch hingestellt, und Rosa Luxemburg fast wie ein Hippie-Kind gemalt, auch Bertolt Brecht – Autor von Gedichten wie “Lob des Kommunismus” und “Lob der Partei” – wird heute von den Editoren der Neuausgabe der Gesammelten Werke, die nach der Annexion der DDR herausgekommen ist, in eine Art liberal uminterpretiert.

Ein Phänomen, das Fidel sicherlich nicht überrascht hätte, hatte er es doch selber beobachten können anhand der analogen Versuche in Bezug auf die Figur des in einen Libertären verklärten Ernesto Ché Guevara. Solchen Versuchen müssen wir mit von Anfang an mit aller Kraft entgegentreten, auch in Bezug auf Fidel ! Um in der Lage zu sein, solche zu entkräften, ist es nützlich, einige Dinge über den ideologischen Werdegang Fidels in Erinnerung zu rufen.

In seiner Rede vor dem letzten Parteitag der Kommunistischen Partei von Kuba, vor wenigen Monaten, hat Fidel hervorgehoben, dass er nicht von jeher Marxist-Leninist gewesen ist (“Ich bin zum Marxismus-Leninismus konvertiert”). Im Gegensatz zu seinem Bruder Raúl Castro wurde Fidel erst später zum Anhänger des wissenschaftlichen Sozialismus. Seine erste öffentliche und persönliche Erklärung für den Marxismus-Leninismus datiert vom 2. Dezember 1961, einige Monate nach der Invasion in der Schweinebucht. Dies hat ihn jedoch nicht daran gehindert, einer der kohärentesten Interpreten dieser Lehre zu werden. Bis vor kurzem hat er immer wieder Beiträge zur Bereicherung des theoretischen Gepäcks der weltweiten Arbeiterbewegung geliefert, namentlich auf dem Feld der Strategie und Taktik des Konfliktes der Klassen und der unterdrückten Völker, mit Werken wie “Der strategische Sieg” und “Die strategische Gegenoffensive” (beide 2012) über die Ereignisse im Laufe des Jahres 1958, welche am 1. Januar 1959 mit dem Einzug der Revolutionäre in Santiago de Cuba ihren Höhepunkt erreichten. Nicht zu vergessen die “Reflexionen von Fidel Castro”, die in der ganzen Welt als erstklassiges Material bekannt sind, nicht zuletzt für die politische Bildung von jungen Kommunisten.

Wenige wissen, dass Fidel schon vor Abschluss seiner eigenen Studien der “kommunistischen” Lehre neugierig war und die Geschichte der nationalen Befreiung der vom Imperialismus unterjochten Völker bestens kannte. Ohne je in Dogmatismus zu verfallen, hatte er niemals Zweifel, was die grundlegende Frage anbelangt, nämlich die Tatsache, dass der Hauptschlag sich gegen den Imperialismus richten muss; darin erkannte er sogar eine absolute Priorität und war bereit, namhafte besondere Interessen zurückzustellen, ohne Opfer zu scheuen.

vor dem Bundeshaus

Fidel und Atatürk (Kubanische Botschaft, Ankara)

Fidel wird oftmals und zu Recht in die patriotische Tradition von Simon Bolivar gestellt. Allerdings beschränken sich seine Vorbilder und der Horizont seiner Neugierde nicht hier. Er pflegte auch Freundschaften mit Kreisen der katholischen Befreiungstheologie und im Umfeld der iranischen Islamischen Volksrevolution. Aber in erster Linie galt seine Hochschätzung den Verdiensten eines grossen nicht marxistisch-leninistischen Revolutionärs wie Mustafa Kemal Atatürk, des Gründers der modernen Türkei und Oberbefehlshabers im Türkischen Befreiungskrieg, der auch dank der Unterstützung seitens des bolschewistischen Russland gewonnen wurde (das übrigens die Türkische Republik als erster Staat anerkannte).

Atatürk war «Inspirationsquelle» für die Kubanische Revolution – sagte Fidel –, denn auch er hatte in seinem Land einen revolutionären Prozess vorangetragen. «Ich bin ein Bewunderer von Atatürk und seiner Generation», fügte der Comandante en Jefe während seiner Reise in das eurasische Land im Jahre 1996 hinzu. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch wurde 2008 in der kubanischen Hauptstadt dem Vater der Türken ein Monument errichtet, «um das Bild des Meister Mustafa Kemal zu uns zu tragen, des Soldaten und Humanisten, der es verstand, ein neues Schicksal und eine grosse Nation zu schmieden», wie sich Eusebio Leal, offizieller Historiker der Stadt Havanna, bei seiner Rede anlässlich der Einweihung des Denkmals in Anwesenheit von hochrangigen türkischen Repräsentanten ausdrückte.

vor dem Bundeshaus

Dies ist auch ein Grund, weswegen die kurdischen Separatisten, welche heute ihre Blutspur durch Syrien und die Türkei ziehen, Fidel verachten, auch wenn sie dies oft mit einer “linken” Rhetorik zu übertünchen versuchen. Der Verleger Fehim Işık (siehe beiliegenden Tweet) – der sowohl in der kurdischen Zeitung “Azadiya Welat” wie auch in der der türkischsprachigen “Evrensel” schreibt, die mit der anti-kapitalistischen und in der Tradition von Enver Hodscha stehenden EMEP verbunden ist – hat das Ableben von Fidel Castro wie folgt kommentiert: «Wir werden den revolutionären Geist von Fidel Castro nicht vergessen, der den Vereinigten Staaten die Stirne bot und Batista stürzte. Aber wir werden auch nicht die Liebe vergessen, die er im Namen des Anti-Imperialismus den Mördern der Kurden erwies.» Unter diesen “Mördern” versteht Işık nach eigenen Erklärungen auch Mustafa Kemal Atatürk und Saddam Hussein (da Fidel im Gegensatz zu den Separatisten sich der Okkupation des Iraks widersetzte).

Im Rahmen einer Manifestation, welche in Istanbul von der türkischen Kommunistischen Partei (welche den ethnischen Separatismus ablehnt) veranstaltet wurde, hat indessen der kubanische Botschafter in der Türkei, Alberto Gozales Casals die linken liberals unter den Journalisten, welche versuchten, Fidel zu verleumden, mit kraftvollen Worten kritisiert: «Fidel, den Begründer der kubanischen Revolution anzugreifen, ist dasselbe wie Mustafa Kemal Atatürk oder Nâzim Hikmet anzugreifen. Und wer Fidel angreift, greift auch Kuba an.»

Originalquelle (italienisch): Fidel Castro e l’amore-odio di certe sinistre (sinistra.ch, 5 di dicembre 2016) | Übersetzung: kommunisten.ch (05.12.2016)


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