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US-Raketenschlag gegen Syrien und Reaktionen

10.04.2017 – Zwecks Unterstützung des “IS” (Da’esh), der Al-Nusra und weiterer internationaler terroristischer Söldnergruppen, die den USA und ihren Verbündeten im Krieg gegen Syrien als Bodentruppen dienen, hat US-Präsident Donald Trump einen Raketenangriff auf den Militärflughafen Al-Schairat südlich von Homs befohlen, einen wichtigen syrischen Stützpunkt zur Bekämpfung der Terroristen. Der Angriff mit 59 Marschflugkörpern des Typs Tomahawk, die von US-Kriegsschiffen im Mittelmeer abgefeuert wurden und von denen weniger als die Hälfte ihr Ziel erreichten, kostete mehrere Menschenleben, zerstörte ein halbes Dutzend auf der Basis in Reparatur befindliche Flugzeuge und beschädigte die Kantine und weitere Anlagen, während das Rollfeld anscheinend unversehrt blieb.

Der Angriff ist ein erneuter offener Bruch des Völkerrechts und ein Schlag gegen die UNO-Friedensordnung in ihrem Kern, dem Gewaltverbot von Artikel 2 Ziffer 4 der Charta der Vereinten Nationen. Nur in zwei Fällen ist der Einsatz von Gewalt gerechtfertigt: entweder durch einen angegriffenen Staat selbst und die von ihm genehmigten Verbündeten, oder aber mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrates. Keine der alternativen Voraussetzungen ist vorliegend erfüllt.

Die offizielle und mediale Rhetorik des Imperialismus zur Rechtfertigung seiner Aggression geht sogar noch ein Stück über die gewohnten Phrasen der sogenannten “humanitären Schutzverantwortung” hinaus, indem das dem strafrechtlichen Denken entlehnte Motiv der “Vergeltung” in den Vordergrund geschoben wird. Gerächt und gesühnt werden soll ein angeblicher Einsatz von Giftgas durch die syrische Armee im Nordwesten von Syrien. Damaskus weist diesen Vorwurf zurück und geht davon aus, dass das in der nordwestlichen Provinz Idlib gelegenen Stadt Khan Scheikun freigesetzte Gas aus Produktionsstätten der Terroristen stammt, welche beim Beschuss durch die syrische Armee getroffen wurden.

Alles deutet darauf hin, dass der US-amerikanische Angriff lange vor diesem Zwischenfall vorbereitet war, der nun als formeller Anlass dient. Keine Überraschung wird das ganze für den «Daily Mail» sein: die britische Zeitung eröffentlichte bereits am 29. Januar 2013 einen – inzwischen von der Webseite gelöschten! – Artikel mit dem Titel „USA unterstützten Plan zur Chemieattacke in Syrien, um die Schuld daran dem Assad-Regime zuzuschieben“.[1]

Es ist nicht das erste Mal, dass der legitimen syrischen Regierung ähnliche Vorwürfe unterschoben werden, um im “Westen” Stimmung für einen offenen Krieg gegen Syrien zu machen. Bisherige Versuche scheiterten daran, dass die Zuschreibung der Täterschaft an die syrische Armee widerlegt werden konnte, und ihnen wurde der Boden entzogen, als sich Syrien auf russischen Ratschlag zur Auslieferung seiner Bestände an Chemiewaffen überzeugen liess, welche alsdann unter UNO-Aufsicht vollzogen wurde. Während der Einsatz von chemischen Waffen durch die Feinde der syrischen Armee bekannt ist, besteht auf Seiten der Führung in Damaskus nicht die geringste politische Veranlassung noch militärische Notwendigkeit, das geächtete Giftgas gegen die diversen “Rebellen” einzusetzen, denn diese werden auch mit konventionellen Waffen an allen Fronten geschlagen und zum Rückzug gezwungen.

Das verlogene Spiel der imperialistischen Kriegslügen und Greuelmärchen, das die Engländer schon vor über 100 Jahren gegen die Deutschen und die Türken perfektioniert hatten, begleitet auch jeden der imperialistischen Kriege, die sich seit Ende des Kalten Krieges in Serie folgen. Vergessen wir nicht, dass die widerlegte und nachträglich als falsch eingestandene Behauptung von US-Aussenminister Colin Powell im UN-Sicherheitsrat über angeblich stichhaltige Beweise von irakischen Massenvernichtungswaffen im Jahre 2003 den Vorwand für den Irakkrieg schuf. Der nun erdachte Vorwand zur Entfesselung neuer Aggressionen gegen Syrien entspricht durch und durch dem Muster der Kriegslügen in vorangegangenen Kriegen gegen Länder, die sich der unipolaren atlantischen Weltordnung widersetzen. Die Eile des Vorgehens von Washington, das nicht einmal eine nähere Abklärung des erst drei Tage zurückliegenden Vorfalls bei Idlib abwartet, weil es deren Ergebnisse zu befürchten hat, passt da gut ein Bild der USA, die sich einseitig die Rolle als Polizist, Staatsanwalt, Richter und Henker anmassen.

Trump wild geworden oder gezähmt?

In Trumps Mund ist die neueste Aggression, abgesehen davon, dass er die Bevölkerung belügt, zugleich die Verleugnung der Wahlversprechen, für deren Erfüllung er zum Präsidenten gewählt wurde. Seine Taten entsprechen dem aussenpolitischen Programm von Hillary Clinton zur Fortsetzung und Intensivierung des Konflikts mit Syrien, dem er noch im Wahlkampf entschieden entgegen trat. Die Hintergründe dieser Umkehr Trumps sind noch nicht klar, aber es kann wohl sein, dass Machtkämpfe zwischen dem Weissen Haus und dem “tiefen Staat” dahinter stehen, und dass der von verschiedenen in- und ausländischen Seiten aufgebaute Druck gegen den Präsidenten diesen möglicherweise zu Kompromissen genötigt hat. Wenn dem so sein sollte, dann hätte man Trumps Raketenangriff nicht als wildes Ausschlagen, eher als ein Zeichen dafür zu nehmen, dass er gezähmt worden ist.

Reaktionen von Kommunistischen und anti-imperialistischen Parteien

Die Aggression der USA wurde von den Schaltzentralen der NATO und EU ebenso wie von den Regierungen Deutschlands, Frankreichs, Japans, Israels, Saudi-Arabiens, der Türkei und anderen begrüsst, während sie von China, Russland, Iran, Indonesien, Bolivien und anderen Staaten mehr oder weniger scharf verurteilt wird, wie dies auch von Seiten vieler Kommunistischen Parteien bereits geschehen ist, die übereinstimmend die Unglaubwürdigkeit der Vorwände, das hastige Vorgehen Washingtons, den Völkerrechtsbruch und die von dieser erneuten Aggression ausgehende Bedrohung für den Frieden auf regionaler oder noch grösserer Skala konstatieren. Die Parteileitung der Kommunistischen Partei (Schweiz) warnt, man dürfe

<< … den westlichen Regierungen nicht gestatten, die das atlantische kapitalistische System ergreifende wirtschaftliche Krise wie in der Vergangenheit auf dem Weg des Krieges zu überwinden: die Antwort der Völker, und darunter der Kommunisten, muss in der internationalistischen und anti-imperialistischen Solidarität bestehen, die wir den sozialen, kommunistischen, gewerkschaftlichen und patriotischen Kräften und dem Kampf um die nationale Einheit Syriens erweisen. Dies ist kurz gesagt die Grundlage für den Wiederaufschwung einer aufrichtigen Friedensbewegung. >> [2]

Zugleich bekräftigen die Kommunisten in Reaktion auf diese neueste Verschärfung der Spannungen ihre Forderung nach

<< … Heimkehr aller Schweizer Soldaten aus dem Ausland und Einhaltung einer strikten Neutralitätspolitik, die nicht nur jede Kollaboration mit der US-geführten NATO, sondern auch mit der zionistischen Armee von Israel stoppt, die sich regelmässig in das Bemühen um eine friedliche Lösung in der Region einmischt: unsere Diplomaten sollten also in Bewegung gesetzt werden, um eine weitere Eskalation abzuwenden. >>

In der Tat hat auch Israel mehrfach Ziele der syrischen Armee und der mit ihr verbündeten Hisbollah auf syrischem Hoheitsgebiet beschossen, abgesehen von der widerrechtlichen Besetzung der Golan-Höhen. Der US-Angriff stärkt damit auch die Position Israels, das sich in seinem Kriegskurs bestätigt sehen kann.

Die Portugiesische Kommunistische Partei (PCP) hält in einer Pressenote vom 7. April fest, dass

<< diese Attacke belegt, dass das Ziel der USA nicht in der Bekämpfung des Terrorismus liegt, sondern in der Aufrichtung ihrer Vorherrschaft im Nahen Osten und in der Welt, und dass sie sich in die Versuche einreiht, die unternommen werden, um Bahnen des Dialogs abzuschneiden, welche Syrien Frieden bringen könnten. (…) Die PCP bekräftigt ihre Solidarität mit dem Widerstand der Arabischen Republik Syrien gegen die Aggression, der sie zu Opfer fällt, und mit dem Kampf ihres Volkes für Soveränität, Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit seines Staates und für den Frieden. Der mutige Widerstand Syriens und seines Volkes und die Verteidigung seiner Rechte erfordern nicht die Gemeinschaft und Komplizenschaft mit den Kampagnen, welche die von den USA und ihren Alliierten durchgeführte Aggression weisswaschen wollen, sondern die Solidarität mit allen, die die Rechte des syrischen Volkes und den Frieden verteidigen. >> [3]

Die Haltung der Türkei

Intensiv beschäftigt man sich mit der Verschärfung der Lage durch den Angriff auf ein Nachbarland naturgemäss in der Türkei. Entgegen der AKP-Staatsführung, die den US-Angriff gutheisst und die USA darüber hinaus auffordert, Syrien eine Flugverbotszone aufzuerlegen, angeblich um ähnliche Vorfälle wie die von Idlib zu verhindern, solidarisiert sich die Vatan-Partei entsprechend ihrer anti-imperialistischen und internationalischen Praxis mit Syrien und seinem Volk im Kampf gegen die USA und deren Marionetten. In einer Reihe von Artikeln und Erklärungen und Interviews – darunter auch im staatlichen Fernsehen der Syrischen Arabischen Republik, wo die Vatan Partei als politische Hauptstütze der türkisch-syrischen Freundschaft willkommen ist – haben sich mehrere Parteiführer, darunter der Vorsitzende Doğu Perinçek und sein Vize Utku Reyhan zum Thema geäussert.

Dabei wird Präsident Recep Tayyip Erdoğan daran erinnert, dass er sich mit seiner Zustimmung zur US-Aggression mit den gleichen Kräften solidarisiert, die auch die Souveränität und Existenz der Türkei bedrohen und schliesslich mit jenen, die ihm beim Putschversuch vom 15. Juli 2016 persönlich nach dem Leben trachteten, wie er sich auch mit den Staatsmännern der Europäischen Union in eine Reihe stellt, welche er selber noch vor wenigen Tagen als “Kreuzritter-Allianz” bezeichnet hatte, während er sich mit seiner Haltung von den Schwellenländern Eurasiens distanziert und den türkischen Interessen schadet, und konkret den Wert der gemeinsamen Erklärungen Irans, Russlands und der Türkei von Moskau/Astana bezüglich Syrien infrage stellt.

Die Vatan Partei zeigt sich zuversichtlich, dass die Dynamik in der Türkei es nicht zulassen wird, das türkische Volk und seine Armee gegen die syrischen Nachbarn aufzubringen, vom eurasischen Weg abzubringen und ins atlantische Lager zurückzuführen.

In diesem Sinne richtet sich die Vatan Partei auch an Erdogan, den sie in die Falle geraten beziehungsweise «am Haken die Vereinigten Staaten und Israels gefangen» sieht, und ruft den Staatspräsidenten zur Einsicht in die einzige Lösung für das syrische Problem auf, nämlich die unverzügliche Wiederaufnahme des Kontakts mit dem legitimen Vertreter des syrischen Volkes, Baschar al-Assad zwecks Verteidigung der territorialen Integrität und Bekämpfung des Terrorismus.

Die Instabilität der politischen Lage in der Türkei, die durch zurückliegende und aktuelle Fehler der regierenden AKP wesentlich mitverursacht ist und sich in ihrem Schlingerkurs zwischen NATO und Russland und in Ankaras Unschlüssigkeit zur Zusammenarbeit mit Syrien, Iran und Ägypten als den nächsten natürlichen Verbündeten der Türkei im Kampf gegen den Terrorismus äussert, wird in Russland bereits zum Anlass genommen, die Bewilligung für den erst vor einigen Monaten wieder aufgenommenen Charter-Verkehr zwischen beiden Ländern erneut einer Überprüfung zu unterziehen. Nachdem bereits die rund um das Verfassungsreferendum eingetretene Verstimmung zwischen Westeuropa und der Türkei dem türkischen Tourismusgewerbe Milliardenverluste einzutragen droht, wäre ein Ausbleiben der russischen Gäste verheerend.

Man kann davon ausgehen, dass von NATO-Seite verschiedene Operationen unternommen werden, um das Verhältnis zwischen Ankara und Moskau zu trüben. Dazu gehörte vermutlich auch die Ermordung des russischen Botschafters in Ankara, Andrej Karlow, im letzten Dezember. Es kann wohl sein, dass die Absicht der Schädigung der russisch-türkischen Beziehungen als Nebenzweck auch in die Kalküle der Beraterstäbe eingeflossen ist, welche den Raketenabschuss gegen den syrischen Flugplatz geplant haben.

Ferner kritisieren von links und rechts

Während die bürgerlichen oder sozialdemokratischen Regierungsparteien der führenden EU-Länder den Angriff unisono billigen, sticht die französische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen unter den wenigen bürgerlichen Prominenten hervor, die den Völkerrechtsbruch in gebührender Deutlichkeit verurteilen. Le Pen hatte sich auch den Kriegsplänen des amtierenden Präsidenten François Hollande gegen Syrien, wie zuvor dem britisch-französischen Überfall auf Libyen vehement widersetzt und jeweils den Standpunkt des Völkerrechts eingenommen, der praktisch auch mit der Sicht Russlands und den Interessen des anti-imperialistischen Lagers zusammenfällt.

Von den Parteien der Europäischen Linken hört man da und dort offizielle Kritik am Vorgehen der USA, so auch von der Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS), die es nicht an scharfen Worten fehlen lässt. Aber dergleichen pflegt Parteifunktionäre und Redaktoren der PdA-Presse nicht daran zu hindern, ihre offene Sympathie mit den sogenannten “Rebellen” durch Verbreitung von Propapanda-Artikeln oder durch Organisierung von Manifestationen gegen Assad zu beweisen. Unter dem Strich heben die mit Syrien geübten Solidaritäten und die dessen Feinden erbrachten Dienste gegenseitig auf, und dies im besseren Falle. Nach aussen wirken vor allem die Parteiblätter als Sprachrohr, da die gedruckte Presse von PdA-Organisationen bei jeder Gelegenheit ausgelegt und verteilt wird, während umgekehrt die Redaktionen einen ihnen nicht genehmen Parteibeschluss auch mal ignorieren und in ihren Blättern die gegenteilige, lies pro-imperialistische Position verbreiten dürfen. Die Erscheinung – egal ob man sie intern als Ringen zweier Flügel erleben, von aussen als als Ausdruck des Pluralismus oder der Doppelzüngigkeit wahrnehmen oder wie auch immer werten will –, dass die PdA Schweiz regelmässig anti-imperialistische Papierbeschlüsse verabschieden und gleichzeitig eine prononciert pro-imperialistischen Praxis treiben lässt und finanziell fördert, hat sich – wie schon gegenüber Brasilien, Libyen, der Ukraine – auch in Sachen Syrien schon mehrfach bemerkbar gemacht: Während die Partei die imperialistischen Kriegspläne Frankreichs und der USA gegen Syrien anno 2012 verurteilte, unterschlug der von ihr herausgegebene «Vorwärts» dieses Statement und befürwortete eventuelle Militärschläge der USA und Frankreichs lebhaft; übrigens liess sie in ihren Redaktionsräumen Assad-feindliches Propagandamaterial drucken.[4]
Im Editorial der in Französisch erscheinenden Parteiblatts «Gauche hébdo» wurde Assad kürzlich als “Schlächter von Damaskus” diffamiert.[5]

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1 Sputniknews Löscht Daily Mail Beweise? – USA sollen Chemieangriff in Syrien lange geplant haben (07.04.2017).

2 Stellungnahme der Leitung der Kommunistischen Partei, vom 08.04.2017: Nein zum imperialistischen Krieg: Hände weg von der Arabischen Republik Syrien!

3 NOTA DO GABINETE DE IMPRENSA DO PCP, PCP condena agressão dos EUA à Síria Nota de Gabinete de Imprensa do Partido Comunista Português, 7 de Abril de 2017.

4 Siehe dazu betreffend Syrien: Auf welcher Seite der Barrikade steht der «Vorwärts»? (2012); ferner: PdA Schweiz gibt ihren Segen zu antikommunistischen Aggressionen in der Ukraine (2014); Der «Vorwärts» begrüsst den Libyenkrieg (2011).

5 “Le boucher de Damas se démène sur le terrain militaire et médiatique”, gauchebdo.ch, 15.12.2016.

(10.04.2017/mh)


Siehe auch:

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